Fastfoodkonzert by Steffi Loos

FreiZeitArbeit 2010

Funktion: künstlerischer Leiter

Erstellungsdatum: 2010

Fliegen, Fahren, Schwimmen, Laufen – Konzerte an ungewöhnlichen Orten

»FREIZEITARBEIT«: Das sind Konzerte zwischen Scheinwerferlicht und Sonnenschein, auf dem Ausflugsdampfer, in der Straßenbahn und im Flugzeug. Es sind Konzerte, wo Musik und Kunst dem Publikum da begegnen, wo es sich aufhält, wo Menschen ihre ZEIT verbringen, sei es auf dem Weg zu ihrer ARBEIT oder in der FREIZEIT.

(Aus einem Pressetext des Veranstalters)

FLUGHAFENKONZERT [Leipzig-Altenburg Airport, 12. Juni 2010]
KRANKENHAUSKONZERT [Universitätsklinikum Leipzig, 26. November 2010]
FAST-FOOD-KONZERT [Burger King Radefeld, 11. Dezember 2010]

  1. Deutschlandradio Kultur »Krankenhauskonzert«

Kreuzer, Leipzig, 10.12.2010

Symphonie für einen Burger
»FZML« verbindet zeitgenössische Musik und Fast Food

Badeanstalt, Straßenbahn oder auch Bordell: meist gewöhnliche Orte des Alltags werden vom »Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig« in der Konzertreihe »Freizeitarbeit« mit Musik konfrontiert und so in ein Spannungsfeld zwischen Vertrautem und Neuem gebracht. Nun steht ein Konzert im Burger King Radefeld an, wofür das FZML sogar einen internationalen Kompositionswettbewerb zum Thema Fast Food ausschrieb. Sieben Preisträger sind für den Auftritt am Samstag nominiert. Der künstlerische Leiter Thomas Christoph Heyde über unpassende Konzertorte, Ernährungskategorien bei Künstlern und den musikalischen Umgang mit Fast Food.

Badeanstalt, Straßenbahn, oder auch Bordell: meist gewöhnliche Orte des Alltags werden vom FZML in der Konzertreihe »Freizeitarbeit« mit zeitgenössischer Musik konfrontiert und so in ein Spannungsfeld zwischen Vertrautem und Neuem gebracht. Für das Programm der nächsten Freizeitarbeit im Burger King Radefeld schrieb das FZML einen internationalen Kompositionswettbewerb zum Thema Fast Food aus und nominierte sieben Preisträger. Die Verleihung der Kompositionspreise und die Uraufführungen der Werke finden beim sogenannten Fast-Food-Konzert am Samstag statt. Im Ticketpreis enthalten ist ein Shuttleservice – und natürlich ein Burger. Der künstlerische Leiter Thomas Christoph Heyde über unpassende Konzertorte, Ernährungskategorien bei Künstlern und den musikalischen Umgang mit Fast Food.

kreuzer: Thomas Christoph Heyde, wie unpassend bzw. ungewöhnlich darf ein Konzertort sein?

Thomas Christoph Heyde: Ich muss gestehen, dass wir diesbezüglich einen recht weit gefassten Kunstbegriff haben. Es sind eher viele Rahmenbedingungen, die stimmen müssen, damit ein Konzert an einem ungewöhnlichen Ort möglich wird. Nicht an jedem Platz lässt sich eine mit dem Ort verbundene Thematik künstlerisch durchdringen.

kreuzer: Welche Gedankenspiele brachten dich auf die Fast-Food-Thematik? Und warum finden die Konzerte gerade in dem abseits gelegenen Burger King in Radefeld statt?

Heyde: Die zweite Frage lässt sich leicht beantworten: es war das größte und von den Räumlichkeiten am besten geeignete Lokal. Die erste Frage ist schon etwas komplizierter. Denn auf der einen Seite gibt es natürlich diese Künstlichkeit, diese Massenproduktion. Auf der anderen Seite steht aber u. a. die Tendenz, dass Essen selbst fast zur Kunst und zum Lifestyle deklariert wird. Da das Bewusstsein für Ernährung und die damit verbundenen globalisierten Prozesse in der Gesellschaft durchaus wachsen, war es natürlich spannend, wie Künstlerinnen und Künstler mit diesen Prozessen und Themen umgehen. Und natürlich findet Kunst – das ist ja das Schöne daran – ganz eigene, ungewöhnliche, verstörende, erheiternde Fragen und Antworten. Im Übrigen – das nur nebenbei zum Thema Künstler und Essen – es gibt, zumindest unter männlichen Künstlern, eigentlich nur zwei Ernährungskategorien: Die einen haben wirklich absolut gar keine Ahnung von Essen oder Kochen und die anderen wähnen sich in Geschmack und Kochkunst zumeist schon kurz vor dem ersten Michelin-Stern.

kreuzer: Ein Kompositionswettbewerb zum Thema Fast Food – da stelle ich mir die musikalische Qualität der Einsendungen durchaus heterogen vor.

Heyde: Oh ja, heterogen ist in diesem Fall fast schon zu untertrieben. Die Qualität der 80 Einsendungen zeigte wirklich die komplette Bandbreite; und auch ästhetisch war vom billigen Popsong bis hin zu performativem Trash alles vorhanden.

kreuzer: Das könnte schnell zu affirmativ werden. Funktionieren die Stücke auch an sich oder nur im Zusammenhang mit der sehr speziellen Aufführungssituation?

Heyde: Ich denke wir haben mit den 7 Preisträgern und den drei weiteren Uraufführungen genau jene Stücke ausgewählt, die es auch wert sind an die Öffentlichkeit gebracht zu werden. Ich kann es nicht bei allen Stücken versichern, denke aber, dass gute Kunst auch unabhängig von solch einer speziellen Aufführungssituation substanzielle Aussagekraft hat.

kreuzer: Nach welchen Kriterien wurden die Stücke letztendlich ausgewählt?

Heyde: Nach künstlerischer Qualität und Originalität beim Umgang mit dem Thema. Das kann sich ganz unterschiedlich gestalten: z. B. hat ein Komponist eine Fast-Food-Symphony geschrieben, also das opulente Format einer Sinfonie auf Fast-Food-Länge eingedampft. Ein anderer verwendet als Textgrundlage eine Prophezeiung von Leonardo da Vinci, der sich als überzeugter Vegetarier bereits im 14. Jahrhundert mit dem Fleischgenuss und den Auswirkungen auf Tierhaltung, Schlachtungsmethoden und Lebensqualität beschäftigte. Wiederum andere verbinden – Skurrilität inklusive – das Essen direkt mit dem Musizieren.

kreuzer: Gibt es für Freizeitarbeit eine Schamgrenze? Wo würdest du nie ein Konzert veranstalten?

Heyde: An Orten würde mir da spontan erstmal nichts einfallen, es gibt aber natürlich Grenzen der Pietät. Ich habe auch noch nie so ganz verstanden, warum Kunst einerseits an bestimmten Orten keinen Platz haben darf, wo doch eigentlich unstrittig ist, dass Kunst sich mit allen Bereichen des Lebens auseinandersetzt. Eine Schamgrenze bei den von uns ausgewählten Orten gibt es nur dort, wo jemand auf unsere Programmgestaltung und damit auf die Auseinandersetzung mit Ort und Thema Einfluss nehmen würde – da wäre die Tür sofort zu.

(Interview: Clemens Müller)

Frankfurter Rundschau vom 09.12.2010, Seite 33 
LVZ/Leipziger-Volkszeitung, , 09.12.2010, S. 12
Das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig hat einen Kompositions-Wettbewerb zum Thema Fast Food ausgeschrieben

Das Lied vom Entzückungssalat (FR), Der Klang des Hamburgers (LVZ)

Wer genau hinhört, vernimmt vielleicht die Tonhöhe des Bratens in heißem Fett. Eventuell nimmt der geneigte Hörer auch einen Rhythmus wahr, den der Burgermeister auf der heißen Edelstahlplatte kratzt. Das dürfte es aber gewesen sein, wenn man Hamburger und Musik irgendwie zusammenbringen will. Aber bei der Frage „Wie klingt ein Hamburger?“ geht es nicht um Banalitäten und Geräusche aus der Frittenbude. Es geht um mehr, wenn die Frittenbude im Land von Bach und Beethoven steht und „Fast Food“ das Thema eines Kompositionswettbewerbs ist.

Das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig (FZML) hat sich einen Namen gemacht durch den unkonventionellen Umgang mit Neuer Musik und ihren Aufführungsorten. Jetzt war ein Fast-Food-Restaurant als Spielstätte für zeitgenössische Musik ausgewählt mit eigens dafür ausgelobtem Kompositionswettbewerb.

Thomas C. Heyde, Komponist und Künstlerischer Leiter des FZML, meint, dass die Bandbreite der eingesandten Wettbewerbsbeiträge kaum größer hätte sein können: „Es war alles dabei, vom billigst produzierten Popsong bis zur dreisätzigen Anweisung, sich ein Stück auszudenken“, sagt er. Nicht alles erfüllte die Kriterien, einen originellen, kritischen oder humorvollen Bezug zum Thema Fast Food oder Essen darzustellen. Herausragend waren unter den 80 Werken am Ende sieben.

Zum Beispiel die „Sterile Food Cantata“ von Pèter Köszeghy. Der ungarische Komponist, der seit 1992 in Berlin lebt, hat dafür stundenlang in Fast-Food-Restaurants gesessen, um die Atmosphäre einzufangen – Geräusche von klappernden Plastiktabletts oder kauenden Menschen. Das alles ist Teil seiner Komposition und fließt per Zuspielband ein. „Das ist das Skelett für das Stück“, sagt Köszeghy, der außerdem einen Sänger, Klarinette, Trompete und Schlagzeug als Besetzung ausgewählt hat. „Fast-Food ist steril“, sagt Köszeghy, das gilt für die Atmosphäre der Restaurants und das Essen. Er hat bei seinen Recherchen eine Studie entdeckt, die nachweist, dass ein Hamburger nach 20 Jahren noch fast genauso aussieht wie ein frischer. „Die Menschen sollen darüber nachdenken, was sie eigentlich essen.“

Der Inhaber eines Fast-Food-Restaurants in Radefeld bei Leipzig muss sich von den Komponisten viel Kritik gefallen lassen – Kritik, die er selbst finanziert hat, denn die Mittel für den Kompositionswettbewerb stammen von ihm. „Wir haben immer gesagt, das wird keine Veranstaltung, bei der VIPs eingeladen und Schampus serviert werden kann“, sagt Heyde. Es geht um brachiale, häufig auch extreme künstlerische Positionen. Trotzdem macht das Unternehmen mit. Richtet das Uraufführungskonzert aus und muss sogar zulassen, dass bei einer Komposition die Musiker in Schutzkleidung spielen, weil sie mit dem Essen herum matschen.

Andererseits ist alles auch eine perfekte Chance auf öffentliche Wahrnehmung. Die von Fast-Food-Ketten ist vor allem amerikanisch. Ralf Kleinehanding nimmt das bei seinem Werk „Der Sohn des Donald“ zum Anlass, mit der Sprache der Vermarktungsstrategen zu spielen. Das „Double-Steak-House“ wird zum „doppelten Fleischscheiben-Gebäude“, der „Delight-Salad“ zum „Entzückungssalat“. Begriffe, die im Umgang schon selbstverständlich geworden sind, nimmt er auf die Schippe, vorgetragen von Tenor, Bassklarinette, Geige und Vibrafon. Das alles in weniger als vier Minuten, denn die Kompositionen dürfen nicht länger als ein Popsong sein. Auch Popsongs haben etwas Schnelllebiges. Viele werden produziert, auf den Markt geworfen, konsumiert und sind schnell wieder verschwunden. Wie ein Burger. „Wir wollten das durchbrechen und fragen: „Gibt es Fast Food in der zeitgenössischen Musik oder in der Popmusik?“, sagt Heyde.

Mehr Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Fast Food und Fast Music nicht. Kleinehandings Musik und die der anderen ist etwas ganz anderes als ein Hamburger: Kunstwerke sind Unikate. Und es gibt ein Spannungsfeld, das beim Fast-Food-Konzert entsteht. Hier das Oberflächliche, das schnelle Essen, dort die lange, in die Tiefe gehende Auseinandersetzung damit, die eine Musik hervorbringt, die schnell verklungen ist.

(Stefan Reisner)

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Programmhefte »FreiZeitArbeit« 2010

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