Spinnerei-Festival

Spinnerei-Festival

Funktion: künstlerischer Leiter

Erstellungsdatum: 1999-2001

Festival

Festivals des Deutschen Tonkünstlerverbandes (DTKV) Sachen in Kooperation mit der Leipziger Bauwollspinnerei.

LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 15.10.2002, S. 9
Ausgabe: Leipziger Volkszeitung-Stadtausgabe/Stadtausgabe / Ressort: Kultur
Zehn Uraufführungen beim 2. Leipziger Spinnerei-Festival für Zeitgenössische Musik

Neue Töne in der alten Fabrik
„In nur zwei einfachen Schritten zum perfekten Weltbürger! Erstens: Reinigen Sie Ihre Ohren mit Hygienestäbchen! Zweitens: Bestellen Sie telefonisch eine Eintrittskarte. Um die neu erworbene Qualität Ihrer Ohren ausgiebig testen zu können …“ Der Flyer hat nicht gelogen: Die „Tangofabrik“ auf dem Gelände der Plagwitzer Baumwollspinnerei umfängt den Besucher zu den Konzerten des 2. Spinnerei-Festivals für Zeitgenössische Musik mit halb düsterer Bar-Atmosphäre in charmantem Fabrikgemäuer. Und die ungewohnte Umgebung gehört zum Konzept des vom Sächsischen Tonkünstlerverband veranstalteten Festivals.
Auf das Hörorgan wartet schon am Freitag ein Dreierbündel Uraufführungen. Am Sonnabend sind es gar fünf. Hier schließt sich der Kreis mit dem Bläserquartett von Johannes Sandberger (Jahrgang 1963) und der „Brassophonia“ für zwei Trompeten und Posaunen von Christian FP Kram (1968). Letzteres ist auch etwas fürs Auge. Niemand steht brav im Ensemble: Ein Musiker spielt an der Bar, der zweite im Toiletten-Vorraum, der Rest woanders. Wegen ständiger Positionswechsel sind gut 20 Notenständer nötig. Musikalisch hält das Werk fürs junge Publikum Vielsagendes zwischen interessanter Harmonie und wüstem Ausbruch bereit. Luca Belcastros (Jg. ’64) „Unsatisfied doublebass“ für Kontrabass, Violine, zwei Blockflöten tut sich schwerer. Die Violine stiehlt dem Tiefsaiter die Schau. Doch ist das schon ein „Psychodrama“?
Da fesseln „… für Saxophonquartett“ von Stefan Lienenkämper (Jg. ’63) und Hubert Hoches (Jg. ’66) „ProjektONE“ mehr. Bei ersterem bläst das Leipziger Saxophonquartett gehörig durch den Raum, während bei Hoche Posaune, Klavier, Kontrabass zunächst als Schlaginstrumente fungieren. Musikalisch wird eine interessante Story von Distanz und Nähe erzählt. Die gut 40 Zuhörer applaudieren ziemlich enthusiastisch.
Am Sonntag gibt es dann noch einmal zwei Uraufführungen. Zum Beispiel „Auge der Zeit“ von Giorgio Taccani (Jg. ’68) für Mezzosopran und kleines Ensemble. Das AVA-Ensemble Berlin hangelt sich hier gläsern wie rabiat durch die Celan-Vertonungen. Doch der Schock des Abends kommt noch: „Amok (Schock)“ von Peter Köszeghy (Jg. 71) mit dem Untertitel „zum Gedenken an Robert Steinhäuser“ – dem Erfurter Todesschützen. Brutales Schlagwerk, hasserfülltes Schreien, verzerrte Flötenausbrüche zeichnen die Schulhaus-Aggression pur.
Nicht weniger beeindruckend ist das „Ensemble für präpariertes Klavier“ – für Klavier solo. Thomas Chr. Heyde (’73) täuscht tatsächlich ein Ensemble vor und hat mit dem Leipziger Eckehard Schubert, der das Stück 1998 uraufführte, einen exzellenten Interpreten zur Hand.

(Katrin Seidel)

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