Erstellungsdatum: 11. - 16.09.2007
Festival für religiöse Musikkultur
Eine Veranstaltung des Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig [FZML] in Kooperation mit Moritzbastei Betriebs GmbH (MB) und Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK).
Religion ist zunehmend eine Frage der Politik geworden: Nicht der Glaube und die Glaubensausübung an sich stehen im Mittelpunkt von feuilletonistisch oder politisch geprägten Debatten, vielmehr ist allzu häufig vom ›Kampf der Kulturen‹ die Rede. Differenzierungen und der individuelle kulturelle Hintergrund gehen in Zeiten von Schlagwort-Debatten ebenso verloren, wie Gemeinsamkeiten jenseits des oberflächlichen Blicks.
Die Vielzahl der Mitwirkenden von MACHTMUSIK ist Programm, denn die im ersten Teil (11.-16.09.)in den Raum gestellten Positionen werden in einem zweiten, pädagogisch-didaktischen Teil (Sept. bis Dez.2007), kritisch befragt und neu durchdrungen. In ein Festival für religiöse Musikkultur alle Religionsgemeinschaften paritätisch einzubinden, ist schon aus Gründen der Diversität nicht möglich und ein freundliches multikulturelles Nebeneinander, das den angesichts der Realitäten recht löchrigen Mantel der Toleranz über das Projekt deckt, kann nicht das Anliegen wacher Beobachter des Zeitgeschehens sein. Einzig künstlerische Authentizität ist ein sicheres Kriterium, soll es um eine inhaltlich fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema gehen, bei der das Trennende zwischen den Religionen ebenso benannt werden soll, wie das Verbindende. Religion und Kunst ist auch immer Spiel mit und an den Grenzen der Moral: keiner der gezeigten Filme war unumstritten, Bands wie Das Ich, Komponisten wie Stockhausen oder der Schamane Gendos sind schwierige oder auch nur fremdartige Grenzgänger zwischen Mystik und Religion – gerne ge- und missbraucht als Headliner in oberflächlichen Kulturdebatten. Ob es gefällt oder nicht, das Festival wird die Realität abbilden und befragen – künstlich und künstlerisch beschönigen aber nicht.
(Einleitungstext von Thomas Christoph Heyde im Programmheft des Festivals)
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LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 13.09.2007
Ausgabe: Leipziger Volkszeitung-Stadtausgabe/Stadtausgabe / Ressort: Szene Leipzig
Das Leipziger Ensemble Suara Nakal eröffnet das Machtmusik-Festival mit balinesischen Klängen / Heute steht das Christentum im Mittelpunkt des Festivals. Im Cineding (Karl-Heine-Straße 83) wird um 15 Uhr „Dead To The World“, ein Dokumentarfilm über den „Antichrist Superstar“ Marilyn Manson, gezeigt; um 20.30 Uhr Pasolinis Verfilmung des Matthäus-Evangeliums. Dazwischen stellen um 19 Uhr Eiko Kühnert und André Sobotta in einem filmischen Vortrag Bibel-TV und Musikfernsehen einander gegenüber. In der Moritzbastei (Universitätstraße 9) tritt um 21 Uhr die christliche Popsängerin Sarah Brendel auf (Tickets 8/6 Euro unter 0341 702590). Sieben Musikwissenschaftsstudenten und ihre Klangkörper: das Gamelan-Ensemble Suara Nakal.
Wie jodelnde Japaner
Eilige Schritte werden langsamer, suchende Blicke verharren, für einen Augenblick übernimmt Musik die Macht in Leipzigs Innenstadt. Machtmusik, das Festival für religiöse Musikkultur, beginnt nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit einem dumpfen, dunklen Grollen. Das Leipziger Gamelan-Ensemble Suara Nakal spielt auf balinesischen Gongs, Klangschalen und Trommeln rituelle Prozessionsmusik, verbunden mit eigenen choreografischen Elementen.
Gamelan bedeutet Orchester, in diesem Fall eine seit einem Jahr gemeinsam musizierende Gruppe von Musikwissenschaftsstudenten der Universität Leipzig. Unter der Leitung von Dozent Gilbert Stöck haben sie sich zu Suara Nakal zusammengefunden und bringen nach Leipzig, was auf Bali zum Alltag gehört – Musizieren zu jedem Anlass, egal ob Tempelfest oder Verbrennungszeremonie, nach der Ernte auf dem Reisfeld oder nach dem Besuch bei Freunden.
Suara Nakal, zu deutsch frecher Klang, soll vor allem Spaß an fremdländischer Musik sein. „Frech deshalb, weil wir die balinesische Musik nur bedingt wie im Original spielen können. Das ist in etwa so, wie wenn wir Japaner jodeln hören“, erklärt Stöck. Um die Hüfte haben alle 20 Musiker ein schwarz-weiß kariertes Tuch geschlungen. Es ist das balinesische Symbol für die Polarisierung zwischen Gut und Böse, einem immerwährenden Kampf, denn eines kann ohne das andere nicht sein. Stöck: „Tempelgötter, Freilufttempel und wichtige Gegenstände werden mit diesen Farben geschmückt.“
Auch das Auf und Ab beider Seiten macht Suara Nakal deutlich. Vier Reyong-Spieler stehen vier Musikern mit Cheng-Chengs, balinesischen Becken, gegenüber, mit Instrumenten bekriegen sie sich, gehen aufeinander zu, weichen zurück, sie bilden einen hin- und herwogenden Zwist ab, der sich am Ende in der monotonen Kernmelodie auflöst.
Gehendes Gamelan begleitete einst die Krieger, stimmte sie auf den Kampf ein. Ein meditativer Sog geht von den martialischen Klängen aus, vermag auch heute noch zum Innehalten zu verleiten. Ein anerkennendes Nicken hier, ein Lächeln da, und immer wieder Staunen ob der Klanggewalt der indonesischen Instrumente. Die Reaktionen der Leipziger auf dieses ungewöhnliche Orchester mitten in ihrer Stadt sind offen, sie bleiben stehen und lassen sich für einen Moment von den eingängigen Rhythmen gefangen nehmen. Das ist das Wesen dieser Musik, die ursprünglich rituellen Zeremonien vorbehalten war und somit untrennbar mit der Religion bis heute verbunden ist.
Das Herbstfestival des Leipziger Forums für Zeitgenössische Musik thematisiert seit Dienstag und noch bis Sonntag die untrennbare Verbindung von Musik und Religion, bringt die verschiedenen Glaubensrichtungen und ihren musikalischen Begleiter zum Publikum.
(Ines Christ)
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