Friedhofskonzert by Steffi Loos

FreiZeitArbeit 2009

Funktion: künstlerischer Leiter

Erstellungsdatum: 2009

Fliegen, Fahren, Schwimmen, Laufen – Konzerte an ungewöhnlichen Orten

»FREIZEITARBEIT«: Das sind Konzerte zwischen Scheinwerferlicht und Sonnenschein, auf dem Ausflugsdampfer, in der Straßenbahn und im Flugzeug. Es sind Konzerte, wo Musik und Kunst dem Publikum da begegnen, wo es sich aufhält, wo Menschen ihre ZEIT verbringen, sei es auf dem Weg zu ihrer ARBEIT oder in der FREIZEIT.

(Aus einem Pressetext des Veranstalters)

FRIEDHOFSKONZERT [Alter Johannisfriedhof, Leipzig, 22. Mai 2009]
BAHNHOFSKONZERT [Betriebsgelände neben der Westhalle, Hauptbahnhof Leipzig, 27. Juni 2009]
BORDELLKONZERT [Haus am Wasserturm (Eros Center Leipzig), 20. November 2009]

  1. MDR Sachsenspiegel »Bordellkonzert«
  2. MDR artour »Bordellkonzert«

  1. WDR3 zu »Bordellkonzert
  2. MDR1 zu »Bordellkonzert
  3. Radio Mephisto zu »Friedhofskonzert«

BILD, 16.11.2009

Freistaat zahlt 18000 Euro, damit Musiker im Leipziger Eros-Center spielen
Steuergeld für Bordell-Konzert! Die klassische Nummer ist im Leipziger Eros-Center ist normalerweise für etwa 80 Euro zu haben. Wenn aber die Hochkultur Station macht, wird`s teurer: Bei einem Bordell-Konzert auf Kosten der Steuerzahler werden gleich Tausende verblasen…
Das Forum zeitgenössischer Musik Leipzig (FZML) hatte die findige Idee, im Rahmen einer Konzertreihe an außergewöhnlichen Spielorten auch im Bordell zu musizieren. Die Kulturstiftung des Freistaates sponsert zu dieser Serie 18 000 Euro, die Stadt Leipzig 13 500 – und ein Großteil davon wird nun im Puff verbumsfiedelt. Man wolle so mit der Kunst „andere Gesellschaftsschichten erschließen“, heißt es… CDU-Landtagsfraktions-Vize Robert Clemen (42, auch Vizepräsident des sächsischen Musikrates) findet dieses Treiben wenig geil: „Davon, dass das Konzert bei laufendem Bordellbetrieb stattfinden soll, hat aber keiner etwas gewusst. Das ist ja fast Förderung der Prostitution.“
60 Zuhörer finden im Publikum Platz, Tänzerinnen aus dem horizontalen Gewerbe räkeln sich zu Weisen von Wilfried Krätzschmar (Präsident des sächsischem Musikrates), Erik Satie und Gottfried von Einem.
Die Prostituierten suchen quasi im Konzertsaal ihre Freier, um dann in den oberen Etagen, wahrscheinlich weit weniger taktvoll, zu kopulieren. Clemen nimmt die Kulturstiftung dennoch in Schutz: „Die haben doch davon gar nichts gewusst. Dem hätten sie doch niemals zugestimmt. “Der CDU-Mann hofft trotzdem noch auf eine einvernehmliche Lösung: „Wenn für die Zeit des Konzerts im Hause nicht gearbeitet würde, wäre allen geholfen.“
Kein Wunder eigentlich, dass die Karten weggehen wie warme Semmeln: Neben der Veranstaltung am Freitag um 19 Uhr wurde noch ein weiterer Termin (21.30 Uhr) nachgeschoben. Ohne „Extras“ kostet das Puffkonzert übrigens 15 Euro Eintritt. (JOHANNES PROFT)
Agence France-Presse (AFP), 18.11.2009

German orchestra to play in brothel

A German orchestra announced plans on Tuesday to play a concert in a brothel in a novel effort to bring classical music “out of the concert hall and to where people are.”

Punters and employees at the Eros Centre in Leipzig would be treated on Friday to six musicians and a singer from the city’s Forum for Contemporary Music (FZML) performing “licentious and erotic” works, the orchestra promises.

These include “Le Flirt” by French composer Erik Satie for piano and voice, “Seven Erotic Songs” by Dirk D’Ase for mezzo-soprano and piano, and Askell Masson’s “Rhythm Strip” played on two snare-drums.

The concert comes ahead of a festival devoted to “erotic music culture” in Leipzig from December 4-6 entitled “Sex.Macht.Musik“.

Frankfurter Rundschau, 26.01.2019
Konzert im Eros Center
Ein Konzert der etwas anderen Art in Leipzig: Das Forum Zeitgenössische Musik Leipzig bringt Musik an ungewöhnliche Orte – diesmal ins Bordell. 

Leipzig. „Girls“ blinkt in roten Buchstaben über der Tür. Girls, Girls, Girls. „Handentspannung oder Französisch 30 Euro, Verkehr 50 Euro“, steht auf dem Schild hinter der Tür. Gut 50 Menschen drängen sich an ihm vorbei. „So ein Andrang ist selten“, sagt eine Frau, die als die Assistentin vom Boss vorgestellt wird. Puffmutter würde man sie wohl nennen, wenn das hier keine hochkulturelle Veranstaltung wäre.
Im Eros Center Leipzig findet ein Konzert statt. Mitten auf dem Tisch, auf dem sich sonst junge Mädchen tanzend entkleiden, stehen Trommeln, Laptops und Notenständer. Die freie Platzwahl fällt auf rote Plüschsofas. Kellnerinnen in knappen Uniformen reichen Sekt, an der Wand brennen gemalte Lagerfeuer.Die Konzertreihe des Forums Zeitgenössischer Musik Leipzig, die Musik an ungewöhnliche Orte bringt, hat diesmal ins Bordell geladen. Gekommen sind vor allem die, die mit zeitgenössischer Musik sonst nicht viel am Hut haben, mit Bordells noch weniger. „Heute wäre die Gelegenheit ihrer Frau zu sagen, dass Sie schon mal hier waren“, eröffnet der künstlerische Leiter Thomas Christoph Heyde den Abend. Es sieht nicht so aus, als würde das jemand bei den anwesenden Ehepaaren tun. Andere Männer waren so schlau, mit dem Kumpel zu kommen, ein paar Freundinnen schauen neugierig umher. Das ist die Gelegenheit, mal einen Puff von innen zu sehen. Die muss man nutzen, das kann man später sogar bei Kaffee und Kuchen erzählen.Künstlerisch zieht sich das Programm von Brecht/Weill und ihrer Zuhälterballade über diverse Perkussionsoli, weiblichen Gesang mit Gitarren oder Klavierbegleitung zurück zur Dreigroschenoper und der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“. Ein sorgfältig ausgewähltes Programm, das theoretisch wunderbar hierher passt. Aber das musikalische Angebot scheint die wenigsten zu interessieren. „Ich will Titten sehen, keinen Trommelmann“, meckert ein Mädchen vor sich hin. Sie bekommt beides. Beim Stück „Rhythm strip“ werfen zwei Tänzerinnen ihre Oberteile von sich, lassen ihre Brüste direkt über den Drums rhythmisch wackeln und schmiegen sie an die Körper der Musiker, zwei Schlagzeuger des MDR-Symphonie Orchesters. Die lächeln leicht nervös, lassen sich aber nicht aus dem Takt bringen. In der Oper sehe man schließlich auch ständig Nackte, hatten sie vorher erklärt. Aber die männlichen Besucher im Publikum richten ihre Blicke, die gerade zum dritten Mal gelangweilt die Getränkekarte studiert haben, schnell wieder auf den Bühnentanztisch.

Ja, auch Gruppensex

Ähnlich viel Interesse weckt die Assistentin mit den Worten: „Hier in der Lounge tanzen die Mädchen, animieren die Männer und trinken mit ihnen. Auf der anderen Seite des Hauses werden die Wünsche der Lust erfüllt. Wer will, dem zeige ich gerne den Sadomaso-Raum, Taj Mahal oder die Klinik.“ Alle wollen. Und drängeln sich Fragen stellend um ein Bett mit Handschellen. Wie das mit den Steuern ist, will jemand wissen. Gibt es auch Männer? Nein, zu geringe Nachfrage. Gruppensex ja, das verhandeln die Mädchen unter sich. Ist von den älteren Freiern schon mal jemand gestorben? „Ja, aber ist doch ein schöner Tod, oder? Allerdings nicht für die Angehörigen.“

Nachdem auch im Krankenschwesternraum alle Fragen beantwortet sind, sieht es in der Lounge fast wieder aus wie bei Normalbetrieb. Das Fagott ist verstummt. Ein DJ spielt Popklassiker. Ein Mädchen hängt kopfüber an der Stange, während sie ihr Oberteil öffnet. Die meisten Konzertbesucher gehen nach Hause. Die „Girls“-Lampe blinkt weiter.

(Von Juliane Streich)

Südkurier vom 12.12.2009 / Kultur

Avantgarde im Puff

Der Kollege wirkte, als habe er etwas verpasst. Er hatte im Radio von einem Konzert in Leipzig gehört. Zeitgenössische Musik. Nicht dass einen diese Nachricht aus dem inneren Gleichgewicht bringen muss. Aber dieses hier schon. Denn es war ein Bordellkonzert. „Dieses Wochenende läuft wieder so was“, schrieb mir der Kollege. Und ich stellte mir vor, wie er sich auf www.bahn.de eine Verbindung nach Leipzig raussuchte. „…dachte, interessiert dich, ist ja wohl ’ne ernsthafte Sache (die Musik)“.

Interessiert mich das? Vermutlich tanzen in dem Bordell doch wieder nur Frauen an den Stangen. Insofern, nein, interessiert mich nicht. Aber dann bin ich doch auf die Internetseite des forum zeitgenössische musik leipzig gegangen. Neue Musik geht in den Puff, das ist ja tatsächlich eine ernsthafte Sache. Offenbar treiben gewisse Notstände nicht nur den männlichen Teil unserer Bevölkerung ins Bordell. Auch die Neue Musik muss sehen, wie sie sich Lust verschafft. Und wer die Höhepunkte mit ihr teilen will. Da kann das Bordell hilfreich sein. Die Konzerte jedenfalls waren ausverkauft. Das passiert der zeitgenössischen Musik ja nicht so oft. Also geht doch.

Geboten wurde ein Programm mit Stücken wie der „Zuhälterballade“ aus Weill/Brechts „Dreigroschenoper“, aber auch Hardcorde-Neue-Musik, harte Kost also, auch das passt ja irgendwie in den Puff. Wie die meisten Branchen, so ist auch die Klassische und mit ihr die Neue Musik von der Krise betroffen. Sie muss schauen, wie sie ihre Kunden bei der Stange hält. Und ist also auf die Prostitution gekommen. Zu Hause im Konzertsaal läuft nicht viel, also heißt es, raus aus den gemachten Betten, auf zu neuen, ungewöhnlichen Orten. Übrigens nicht nur in Leipzig. Überall betreten zeitgenössische Künstler unbekanntes Terrain und suchen nach neuem Lustgewinn. Die Reihe „Kunst aus der Zeit“ der Bregenzer Festspiele lud etwa im vergangenen Sommer zu einem Theaterabend rund um das Thema Sexarbeit ins „Freudenhaus“.

Die Leipziger aber, bevor sie ins Bordell luden, veranstalteten schon Konzerte im Schwimmbad, im Arbeitsamt und auf einem Friedhof. Alles zentrale Anlaufpunkte der Menschheit. In Donaueschingen zogen Müllkarawanen mit Blaskapellen durch den Ort. Das ist nicht so sexy, jedenfalls aber spektakulär. Musik im Gefängnis, Installationen im Kaufhaus, Performances im Straßenbahndepot, im botanischen Garten, auf der Gaskugel, auf der Rheinfähre – alles schon da gewesen. Die Neue Musik, die lange Zeit das Gelübde der Partiturtreue gepflegt und sich auf die inneren Werte konzentriert hatte, geht fremd. Sie gibt sich liberal, undogmatisch, sinnlich. Sie will Spaß machen – eine Angelegenheit, die so bitterernst ist wie die Erotik im Puff, da hatte der Kollege schon Recht. Ob der Neuen Musik die Seitensprünge weiterhelfen? Machen wir den Test: Interessieren Sie sich für Neue Musik? Nein? Trotzdem haben Sie diesen Text gelesen. Vielleicht war es also doch eine gute Idee, ins Bordell zu gehen.

(ELISABETH SCHWIND)

ddp / Thüringische Landeszeitung & Andere vom 28.11.09
Sonderbares Zusammentreffen: Eine Nachtklubtänzerin animiert die Gäste in einem Leipziger…
Bildunterschrift: Sonderbares Zusammentreffen: Eine Nachtklubtänzerin animiert die Gäste in einem Leipziger Eros Center dazu, einem niveauvollen Konzert moderner Musik zu lauschen ein Projekt des Forums Zeitgenössischer Musik (FZML)

Moderne Klänge im Bordell: FreiZeitArbeit wirkt abseits ausgetretener Pfade

(ddp) Junge Frauen in knappen Kleidern und mit tiefen Dekollets reichen am Eingang zu einer schummrigen Lounge ein Glas Sekt. Auf halsbrecherischen Absätzen huschen sie zwischen den dunkelroten Samtsofas hin und her, immer um das Wohl ihrer Gäste bemüht. Die Gesichter halten sie an diesem Abend hinter weißen Masken verborgen. Herzlich willkommen an einem Ort, an dem sie wahrscheinlich noch nie waren und wenn, sie es nie zugeben würden, begrüßte Thomas Heyde, künstlerischer Leiter des Forums Zeitgenössischer Musik Leipzig (FZML), das Publikum. Das Forum veranstaltet seit 2005 Konzerte an ungewöhnlichen Orten diesmal in der Striptease-Bar des Leipziger Eros Centers, einem Bordell.

Musikalisch werden die 60 Zuhörer mit der Zuhälterballade aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper auf den Ort des Geschehens eingestimmt. Sängerin Daniela Zanger trägt ein bodenlanges blutrotes Kleid. Lasziv bewegt sie sich auf dem schmalen Laufsteg, der sich durch den Raum zieht. An den Stangen lassen normalerweise Stripperinnen die Hüften zu dröhnenden Techno-Bässen kreisen. Wir versuchen, den Ort nicht zu verändern, sondern so zu zeigen, wie er ist, erklärt Heyde. Das müsse das Publikum aushalten.

Und zu dem Ort gehören Erotik und nackte Haut. Beim Rhythm strip der beiden Schlagzeuger des MDR Symphonieorchesters streifen zwei spärlich bekleidete Frauen durch das Publikum. Eine scheinbar zufällige Berührung hier, ein Flüstern ins Ohr eines männlichen Zuhörers da, und dann steigen sie zu den Musikern auf die Bühne. Die Tänzerinnen fordern die Künstler heraus, lassen ihre Oberteile auf die Instrumente fallen. Die Musik reagiert ihrerseits mit ekstatischem Trommelwirbel.

Ungewohnt, aber interessant nennen die beiden Tänzerinnen Csilla und Greta den Auftritt hinterher. Das Publikum stand diesmal nicht so sehr wie sonst im Vordergrund, sagt Csilla. Als sie die Trommel-Musik zum ersten Mal hörte, war die 31-Jährige erschrocken. Ein richtiger Rhythmus fehlt, um richtig locker zu werden, pflichtet auch Greta ihrer Kollegin bei. Ungewohnt war die Situation auch für die Musiker. Ein wenig hätten ihn die Tänzerinnen bei den Proben schon abgelenkt, gestand Fagottist Kristian Petkov lächelnd.

Das Stück Wellen vom Untergrund von Thomas Heyde, der auch komponiert, empfand einen Liebesakt vom Vorspiel bis zum Höhepunkt nach. Mit extremen sexuellen Vorlieben beschäftigten sich die Liderlichen Lieder von Gottfried von Einem: Ein Sodomist, der in einen Maikäfer vernarrt ist, ein Transvestit, der als grauer Buchhalter sein Geheimnis verdeckt, und ein Fetischist, der nicht von einem roten Damenschuh lassen kann, entführten auf humorige Weise in die Welt der sexuellen Fantasien.

Die Künstler gingen pragmatisch an das Thema heran. Das Bordellkonzert ist Teil der Reihe FreiZeitArbeit. Dabei treten die Musiker an Orten auf, an denen Menschen ihre Arbeits- und Freizeit verbringen. Tabuzonen gibt es Heyde zufolge nicht. Wir können uns nur auf der Ebene der Musik mit dem Thema auseinandersetzen. Den Rest muss das Publikum selbst machen, sagt er. Den Vorwurf des Sex sells will er sich für das Bordellkonzert nicht gefallen lassen. Die Aufregung, die in der Öffentlichkeit darum gemacht wurde, zeige nur, dass manche Orte immer noch tabuisiert würden. Auch darauf wolle man hinweisen.

Sächsische Zeitung vom 23.11.2009 Seite 21 / DRS Dresden Kultur
Bieder im Bordell
Bildunterschrift: Ungewöhnlich: Zeitgenössische Musik in der Striptease-Bar. Foto: Jens Schlueter/ddp

Viel Lärm um nicht viel: Das Konzert in einer Leipziger Table-Dance-Bar.

Am Ende war es fast züchtig. Das Forum zeitgenössischer Musik Leipzig hatte am Freitag zum Bordellkonzert geladen. Doch in der „Lounge am Wasserturm“ im Leipziger Nordosten gab es keine kopulierenden Körper zu sehen und weniger nackte Haut als im Fernsehprogramm zur gleichen Stunde. Zärtlich behandelte einzig der Trommler sein Instrument bei Wilfried Krätzschmars „sérénade noire“. Und prickelnd war vor allem der Sekt, den es für die Besucher am Eingang gab. Dabei hatte die Veranstaltung im Vorfeld für mächtig Aufsehen gesorgt. „Steuergeld für Bordellkonzert“ titelte eine Boulevardzeitung und schimpfte über 18000 Euro, die das Land angeblich für die Musiker zahle. Die Kulturstiftung des Freistaates, die das Forum zeitgenössischer Musik fördert, habe nichts von der Verwendung der Mittel gewusst. Dem widerspricht der stellvertretende Stiftungsdirektor Manuel Frey: „Wir wissen, wofür wir unser Geld geben. Diese spezielle Veranstaltung fördern wir und die Stadt Leipzig mit 2000 Euro für die Künstler.“

Das Bordellkonzert ist Teil der Reihe „Freizeit Arbeit“. „Zeitgenössische Musik wird von der breiten Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Darum bringen wir die Musik dorthin, wo die Leute arbeiten oder ihre Freizeit verbringen“, sagt Thomas Christoph Heyde, Leiter des Forums. Nach Konzerten in der Straßenbahn und auf dem Friedhof nun also in der Striptease-Bar. Man habe gründlich recherchiert, ob das Etablissement etwa mit Zwangsprostitution oder Ausbeutung in Verbindung gebracht werden könne. Bordell und Bar seien zudem getrennte Betriebe.

Der Maikäfer des Sodomiten

„Ich verstehe die ganze Aufregung nicht“, so Heyde. Auch dem Publikum in roten Plüschsesseln fällt es schwer, bei Gottfried von Einems „Liderlichen Liedern zur Gitarre“ in andere als fröhliche Stimmung zu verfallen: „Herr Heinrich ist ein Sodomit, darum führt er auf Schritt und Tritt, einen Maikäfer mit“, heißt es da.

Auch die Tänzerinnen, die am Abend nur kurz die knappen Bikinioberteile lüften, waren schnell zu begeistern. „Wir sind immer offen für Neues und mögen Action“, sagt Csilla. Allerdings bereitete ihr die Choreografie Probleme. „Ich bin eher House-Musik gewöhnt, nichts Klassisches“, sagt die Stripperin.

„Klassisch“ war vielleicht Kurt Weills „Zuhälterballade“, die den Abend eröffnete. Der eskstatisch-militärische „Rythm Strip“ für zwei Snare drums von Áskell Másson oder Heydes beeindruckende „Wellen vom Untergrund“ für Fagott und Elektronik hingegen repräsentierten die Vielfalt zeitgenössischer Musik. „Wer Kicks, Beats und einen Strip erwartet, wird enttäuscht sein“, so Heyde. Für die anderen war es ein spannender Ausflug in die Musik von morgen.

(Franziska Dähn)

LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 23.11.2009, S. 16
Ausgabe: LVZ-Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung / Ressort: Kultur
Konzert des Forums Zeitgenössischer Musik Leipzig im Haus am Wasserturm

Musiksoziologie im Groß-Bordell

Leipzig. Zweimal volles Haus verzeichnete das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig am Wochenende beim ersten Leipziger Bordellkonzert im Eros-Center am Wasserturm. In der Reihe „FreiZeitArbeit“, brachte FZML-Kopf Thomas Heyde verhältnismäßig neue Musik in die Table-Dance-Lounge des Groß-Bordells. Die Aufmerksamkeit, die er damit erregte, war erheblich, der künstlerische Mehrwert blieb gering.

„Man muss hier auf jedes Wort aufpassen“, sagt Thomas Heyde auf dem Steg, der ein Tisch sein soll, und auf dem sonst mäßig bis nicht bekleidete Mädels, Damen heißen sie hier, Abend für Abend (außer Sonntag) Messingstangen polieren. Recherchiert habe er, vieles gelernt, daran sollten nun alle teilhaben können. Darüber freut sich die Hausherrin, „Assistentin des großen Bosses“, weil die Veranstaltung zur Enttabuisierung beitrage, dazu, Vorurteile abzubauen, als normal anzusehen, was die normalste Sache der Welt sei. Überdies ihr ältestes Gewerbe.
Offen beginnt da die Chefin, die so gar nichts von einer Puffmutter hat, zu plaudern. Von den Mädchen, die sich einmieteten und auf eigene Rechnung arbeiteten. Manche zum Broterwerb, andere für den Nebenverdienst, alle, das verstehe sich ja von selbst, ohne Zwang. Das könnte interessant werden, stünde Heyde nicht wie ein aus dem Habit geschossener Ministrant auf der Bühne, kündeten seine Fragen von Interesse und nicht nur von der Notwendigkeit, etwas zu sagen, bei einem Konzert an einem so außergewöhnlichen Ort. Musik und Bordell, sie könnten, ahnt man, durchaus gegenseitig sich bereichern. Drum sind die Erwartungen so groß wie die Kameras und Journalisten-Blöcke zahlreich.
Doch die Rechnung geht nicht auf. Selbst Heyde gibt sich vor Beginn der Spätvorstellung ein wenig enttäuscht von der gerade beendeten Premiere: „Ich hätte mehr Interaktion zwischen den Tänzerinnen und dem Publikum erwartet. Das lag sicher an der auch für die Mädels ungewohnten Öffentlichkeit. Die sind das ja nicht gewohnt, vor Kameras zu tanzen und vor einem so ganz anderen Publikum.“ Was sicher stimmt. Und, bliebe zu ergänzen, das Publikum ist es nicht gewohnt, dass Tätowierte mit obenrum nix an sich mit drallen Schenkeln an der Stange festklemmen, derweil zwei exzellente Schlagwerker (Gerd Schenker und Thomas Winkler) sich mit gespielter Ungerührtheit durch Áskell Mássons „Rhythm Strip“ dengeln. Dabei kann dies noch als einer der wenigen Höhepunkte des Abends gelten, weil hier der Versuch unternommen wird, das Bordell und die Musik in Kontakt treten zu lassen. Der zweite kommt von Heyde selbst, der für Fagott (fabelhaft: Kristian Petkov), Elektronik, eine Tänzerin und einen Laiendarsteller eine Szene mit dem Titel „Wellen vom Untergrund“ zusammengestellt hat. Das stärkste Stück des Abends. Was bei Lichte besehen keine allzu große Kunst ist. Denn der größte Teil vom Rest ist entweder schlechte Musik oder schlecht vorgetragen oder beides.
Schon bei Wilfried Krätzschmars öder „sérenade noir“ „solitude III“, während der sich Schenker an der Großen Trommel abarbeitet – es ist das zweite Stück erst des anderthalbstündigen Programms -, meldet sich im hinteren Eck die Stimme der Vernunft zu Wort: Gekicher, Befremden von einem Herrn mittleren Alters, der offenkundig einen schönen Abend mit mehreren Damen aus dem benachbarten Laufhaus geplant hat, die kulturelle Aufwertung via Musik in Kauf und Anspruch nahm und sich nun wundert, was so alles als solche durchgeht.
Sein verhalten, aber deutlich artikuliertes Befremden ist symptomatisch – und es ist beiderseitig. Personal und Stammkundschaft finden nicht zur Neuen Musik, sondern ihre Vorurteile bestätigt. Die Musikerinnen kommen nicht mit dem klar, was Heyde euphemistisch „die sinnliche Aura des Raums“ nennt – eines groß geratenen Reihenhaus-Party-Kellers mit Disco-Kugeln, Schwarzlichtröhren und viel rotem Plüsch. Die Musiker tun betont so, als sei nirgends nichts Besonderes nicht. Und wer hier einfach nur seinen normalen Job machen möchte während der „FreiZeitArbeit“ der Anderen, ärgert sich über das im Angesicht phantasievoll ausgepreister Getränke sehr zurückhaltende Konsumverhalten der Avantgarde-Interessenten, die Teil werden einer musiksoziologischen Versuchsanordnung, der auch mit viel kuratorischer Deutungs-Lyrik kaum Sinnhaftes abzugewinnen ist. So bleibt man sich fremd, tut unabhängig voneinander, was man immer macht – nur schlechter. Und es bleibt das schale Gefühl, einem gewollten, einem konstruierten Event beigewohnt zu haben, dessen prinzipiell vielversprechende Papierform nicht in die Realität findet. Nicht finden kann. Weil auch die beste (und darum handelt es sich im konkreten Falle eher nicht) Idee nichts taugt, wenn bei der Umsetzung nicht ein Mindestmaß an Professionalität waltet.
Entsprechend mau fällt der Applaus aus. Entsprechend wenige der zum Getränk gereichten Spielgeld-Dollars finden ihren Weg von der Konzertgängerhand hinters Höschen-Gummi. Entsprechend schnell setzt der allgemeine Aufbruch ein. Die Chefin immerhin freut sich im Anschluss über reges Interessen an den Führungen durchs Laufhaus. Und da blitzt einen Moment lang die Vision auf, dass es etwas hätte werden können mit den Grenzüberschreitungen, der Enttabuisierung, der Sinnstiftung des ersten Bordellkonzerts des Forums Zeitgenössischer Musik Leipzig.
Vielleicht bietet dessen Kooperation mit Centraltheater und Skala mehr. Beide laden für den 4. bis 6. Dezember zum „Festival der erotischen Musikkultur“. Da gibt’s zum Beispiel erotische Videos „vibrierende Sitzkissen und Kleenex inklusive“. Womit die Stoßrichtung präzise umrissen wäre.

(Von Peter Korfmacher)

BILD, 22.11.2009
BILD beim 1. Bordell-Konzert auf Staatskosten im Leipziger „Eros-Center“

Hier verpufft gerade unser Steuergeld

Schwere Kost für leichte Mädchen oder doch nur Katzenmusik und heiße Miezen? 4500 Euro hat der Freistaat dazugegeben, damit das „Forum für Zeitgenössische Musik Leipzig“ im Bordell musizieren darf. Ein Skandal auf Steuerzahlerkosten? BILD war dabei.

Das „Eros-Center“ am Wasserturm, Freitagnacht. „Handentspannung 30 Euro“ verheißt ein Schild im Eingangsbereich des Bordells, in dem 20 Frauen ihre Dienste anbieten. Der Ort der Aufregung ist aber die Tabledance-Bar im Erdgeschoss. Hier wird für 15 Euro Eintritt aber nur gefiedelt, nicht geschniedelt. Trotzdem drängen sich – rein dienstlich versteht sich – 34 Journalisten im Rotlicht; Kameras und Kugelschreiber entsichert. Veranstalter Thomas Christoph Heyde (36) beeilt sich zu erklären, dass dies hier Kunst und kein steuerfinanzierter Skandal sei: „Die 4500 Euro, die das Konzert gekostet hat, wurden hauptsächlich für die Künstler ausgegeben.“

Was nun kommt, hat mit großer Kunst leider wenig zu tun. Eine Sängerin im roten Kleid trägt – bemüht verrucht – die Zuhälterballade aus der Dreigroschenoper vor. Dann trommeln zwei Schlagzeuger den „Rythm Strip“ – und endlich lassen zwei Tänzerinnen im Tarnfleck-Röckchen die Hüllen fallen. Das Publikum applaudiert brav. Die Liebesdamen, die an diesem Abend ihre Gesichter verbergen, kichern derweil wie Debütantinnen beim Opernball und schieben sich Erdnussflips unter die Masken.
90 Minuten dauert das Ganze, dann machen wir die Probe aufs Exempel: Ist staatsfinanzierte Fidelei tatsächlich „Förderung der Prostitution“, wie einige Politiker befürchteten? Wir schleichen uns am Tresen vorbei, wollen hoch in die oberen Etagen, wo die käufliche Liebe wartet. Fragen, wie‘s denn gefallen hat und ob‘s gut fürs Geschäft war. Doch ein Türsteher pfeift uns zurück: „Nicht für Journalisten!“
Schade, denn so werden wir nie erfahren, ob die Musiker vom „Forum“ ihr Ziel im Puff erreicht haben: nämlich mit ihrer Kunst „andere Gesellschaftsschichten zu erschließen“, wie es hieß…

(JOHANNES PROFT)

NMZ, 21.11.2009
Trommeln im Puff: Das Leipziger Bordellkonzert mit zeitgenössischer Musik
Von Stefan Reisner

Die maskierten Mädchen in High-Heels und extrem kurzen Kleidchen reichen
Sekt am Eingang. Drinnen plätschert sanfte Popmusik aus den Lautsprechern. Der Raum ist in rotes Licht getaucht. Rot sind auch die Samtsofas, die um den Tabledance gruppiert sind. In dem Leipziger Bordell werden die Tänzerinnen in dieser Nacht nicht zu einer Musik wie in anderen Nächten tanzen. Denn diesmal ist die Musik kein sanfter Pop. Heute führen Musiker hier zeitgenössische Musik auf. Live im Puff und mit tanzenden
Mädchen.
Das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig (FZML) hatte die Idee dazu. Schon seit 2007 gibt es in Leipzig Konzerte mit Werken zeitgenössischer Musik an ungewöhnlichen Orten. [weiterlesen (€)]

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Programmhefte der Konzertreihe »FreiZeitArbeit«

LINKS

Informationen zu den Konzerten auf der Website der Veranstalter
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