Funktion: künstlerischer Leiter
Erstellungsdatum: 2007
Fliegen, Fahren, Schwimmen, Laufen – Konzerte an ungewöhnlichen Orten
»FREIZEITARBEIT«: Das sind Konzerte zwischen Scheinwerferlicht und Sonnenschein, auf dem Ausflugsdampfer, in der Straßenbahn und im Flugzeug. Es sind Konzerte, wo Musik und Kunst dem Publikum da begegnen, wo es sich aufhält, wo Menschen ihre ZEIT verbringen, sei es auf dem Weg zu ihrer ARBEIT oder in der FREIZEIT.
(Aus einem Pressetext des Veranstalters)
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STRASSENBAHNKONZERT [16. November 2007, Straßenbahn-Sonderhaltestelle, Hauptbahnhof Leipzig]
PICKNICKKONZERT [19. August 2007, Festwiese der Kirche, Sehlis/Taucha]
BADEKONZERT [14. Juli 2007, Schreberbad Leipzig]
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Beitrag des MDR zu »Badekonzert«
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Titel: Die Musik geht baden Publikation: LVZ Erscheinungsdatum: 13.07.2007
Der Komponist Thomas Christoph Heyde und das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig stehen für die etwas andere Avantgarde. Morgen Abend bietet er im Rahmen seiner neuen Konzertreihe zur „FreiZeitArbeit“ ins Schreberbad, im Herbst beleuchtet die MachtMusik das Verhältnis von Musik und Religion. Peter Korfmacher sprach mit dem 34-Jährigen.
Die Musik geht baden
LVZ: FreiZeitArbeit – klingt das nicht ein wenig überambitioniert?
Thomas Christoph Heyde: Warum? Es ist ein Konzept mit klarer Zielstellung.
LVZ: Nämlich?
H: Wie kann man künstlerisch-inhaltliche Gedanken besser an die Leute bringen?
LVZ: Und – wie kann man?
H: Die Kunst geht zu den Leuten und wartet nicht, bis die zu ihr kommen. Die grundsätzliche Frage war also: Wo halten die Leute sich in ihrer Freizeit auf.
LVZ: Morgen halten sie sich im Freibad auf – wo sonst?
H: Das nächste Konzert ist ein Picknick, das dritte besetzt die Grauzone zwischen Freizeit und Arbeit: die Straßenbahn.
LVZ: Reagieren Sie inhaltlich auf die ungewöhnlichen Konzertorte?
H: Natürlich: Beim Badekonzert morgen gibt’s Händels Wassermusik.
LVZ: Ein bisschen billig – oder?
H: Wäre es, beließen wir es dabei. Aber wir sind es unserem Ruf schuldig, immer noch einen drauf zu setzen. Also gibt es zur Wassermusik-Bearbeitung für Blechbläser ein Wasserballett mit den Synchronschwimmerinnen der DHfK.
LVZ: Klingt absurd.
H: Ja, das hat was von absurdem Theater. In die gleiche Kerbe stößt Mike Svoboda, der die Musik-Comedy- Seite seiner Arbeit zeigt: „Hommage á Badesaison“ für Südseemuschel und Wasser und weitere Auszüge aus dem Programm „Alphorn Therapy“. Dazu präsentieren wir Cello-begleitete Walgesänge von Wittwulf Y Malik, das Sonic Rodeo DJ-Team und DJ CFM.
LVZ: Kann das Publikum mittanzen?
H: Klar. Es kann auch mitschwimmen.
LVZ: Der Aufwand ist erheblich – wie finanzieren Sie die FreiZeitArbeit?
H: Im Schreberbad unterstützen uns die Wasserwerke und die Sportbäder Leipzig, fürs Straßenbahnkonzert helfen uns die LVB, Pilsner Urquell ist im Boot, der Deutsche Musikrat, die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.
LVZ: Das Kulturamt nicht?
H: Nein. Darum ist es so wichtig, zu zeigen, dass es auch möglich ist, anderswo Mittel aufzutreiben. Die Rechnung „Zeitgenössische Musik hat keine Förderer, weil sie keine Öffentlichkeit hat“, geht so nicht auf. Es ist nur eine Frage der Vermittlung.
LVZ: Die FreiZeitMusik ist die lockere Schiene des Forums. Im September steht dann wieder Ihr Herbstfestival an. Da ist die Stadt doch sicher mit im Boot?
H: Wie man’s nimmt: Das Kulturamt gibt 4000 Euro. Das hilft nicht wirklich. Der Etat beläuft sich auf rund 60.000 Euro.
LVZ: Was soll die Stadt tun? Sie hat nicht mehr Geld.
H: Gewichten.
LVZ: Das sagen alle. Warum sollte sie so gewichten, dass Sie mehr bekommen und andere weniger?
H: Weil andere sich unter anderem nicht so wie wir um andere Mittel kümmern. Wenn ich sehe, wie viel städtisches Geld in soziokulturellen Projekten verschwindet und wie viele Mittel von Land, Bund und EU nicht abgerufen werden, regt mich das auf. Es gibt Wege, Töpfe, Mittel – auch das wollen wir zeigen.
LVZ: Das Herbstfestival MachtMusik ist ernster. Aber auch hier gehört die Vermischung der Genres zum Konzept. Wie sind bisher Ihre Erfahrungen damit?
H: Exzellent. Auch hier geht es darum, ein Projekt zu entwickeln, das nachhaltige inhaltliche Arbeit ermöglicht. Auch da stellt sich die Frage: Wie kann man Inhalte am besten vermitteln? Und der Ansatz der Vermengung von U und E spricht ein breites Publikum an.
LVZ: Wie geht es thematisch weiter?
In diesem Jahr nehmen wir uns Religion vor, 2008 Sport, 2009 Erotik.
LVZ: Religion und U-Musik – das klingt beängstigend nach Neuen GeiLies, Neuen Geistlichen Liedern.
H: Es gibt viel geschmäcklerische Betrachtung von Religion auf Seiten der Popmusik, vieles ist ausgesprochen platt. Aber es gibt auch interessante, querständige Beschäftigungen mit dem Thema quer durch die Szene – etwa im Metal: Die einen sind dagegen, die anderen sind explizit dafür. Ähnlich ist es im GothikBereich. „Das Ich“ beispielsweise ist eine der ältesten deutschen Gothik-Bands und hat sich schon immer mit religiösen und antireligiösen Inhalten auseinandergesetzt. Durchaus auf eine Weise, dass man sich auf den Schlips getreten fühlen kann. Dazu werden wir einen Welt-Musik-Abend anbieten, einen klingenden Kultur-Clash: Klezmer, schamanische Musik, einen Sufi-Sänger und Soundsystem mit tanzbarer osteuropäischer religiöser Musik.
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LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 21.08.2007
Ausgabe: Leipziger Volkszeitung-Stadtausgabe/Stadtausgabe / Ressort: Schkeuditz – Taucha
In Sehlis erklingen Alphorn, Kontrabass und zerschlagene Teller
Picknick mit ungewohnten Klängen
Sehlis. „Na, das is aber nisch Jedermanns Sache“, urteilte eine Seniorin auf der Sehliser Festwiese und schaute etwas skeptisch zu den beiden neben ihr sitzenden älteren Damen. Ob sie ein Stück im Besonderen oder das Konzert im Allgemeinen meinte, blieb ungesagt. Gleichwohl hörten die Drei wie auch die anderen fast 100 Besucher weiterhin interessiert zu. Denn mit ihren teils ungewohnten Klängen und reizvollen Instrumentenkombinationen bezauberten die beiden Salzburger Musiker Christoph Lindenbauer und Fritz Moßhammer am späten Sonntag-Nachmittag unter freiem Himmel die Zuhörer auf eine ganz spezielle Weise. Musikliebhaber aus allen Himmelsrichtungen waren mit Kind und Kegel in den Tauchaer Ortsteil gepilgert, um etwas ganz Besonderes an einem ungewöhnlichen Ort zu hören. Denn genau das ist auch das Motto, unter dem das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig (FZML) in seiner Reihe „Freizeitarbeit“ solche Veranstaltungen organisiert. Losgegangen war es im Mai mit einem Badekonzert.
In Sehlis folgte nun ein Picknick-Konzert, das mit einer Wanderung von Tauchas Straßenbahn-Endhaltestelle zum „Konzertsaal im Grünen“ eingeleitet wurde. Auf der Wiese erwarteten die als Duo Inflagranti auftretenden Lindenbauer und Moßhammer die Wanderer bereits. In familiärer Atmosphäre wurden unter den wärmenden Sonnenstrahlen Decken ausgebreitet sowie Speisen und Getränke ausgepackt. Während die Besucher ihre Picknickkörbe leerten, ließen sie sich von den beiden Salzburgern mit Klängen von Alphorn und Bass, Trompete und slowakischer Hirtenflöte verzaubern.
Passend zum Thema Picknick erklang als Pausenmusik Max E. Kellers Stück „Food“. Dargeboten wurde es von Gerd Schenker auf einem sehr ungewöhnlichen Schlagzeug, das aus Topfdeckeln, teils zerbrochenen Tellern, einem Mülleimer mit Wiener Würstchen drin und Weingläsern bestand. „Das Stück hat eigentlich einen ernsten Hintergrund“, erzählte Schenker. „Die Wurst wird weggeworfen, während anderswo Menschen verhungern.“ Weiter erklärte er, dass es für das Stück umfangreiche Noten gibt, mit genauen Anweisungen, wo welcher Teller zu stehen hat. So wolle man die Menschen zum Nachdenken anregen, doch dies mit einer gehörigen Portion Humor und mit Freude an außergewöhnlichen Mitteln und Wegen. So stieß Schenker während seiner Klang-Präsentation auch immer wieder Laute wie „Baba Babababa baba“ ins Mikrofon, dem besonders die Kinder gebannt lauschten. Der Beifall für diese ungewöhnliche Darbietung war ihm sicher. Das Publikum war sehr neugierig und aufgeschlossen für Neues, Experimentelles und Ungewöhnliches.
Damit ging auch das Anliegen des FMZL auf. Schließlich will es fern der üblichen Konzertsäle sein Publikum dort treffen, wo es sich aufhält, seine Zeit verbringt – sei es auf dem Weg zur Arbeit oder in der Freizeit. So wird die Musik immer auf die jeweiligen Veranstaltungsorte abgestimmt, teilweise speziell dafür in Auftrag gegeben. Das Picknickkonzert in Sehlis entstand in Kooperation mit dem Zweckverband Parthen-aue, eingebunden in das Projekt „Stadt Land Kunst Parthe“, welches mit Kunstwerken, Veranstaltungen und erlebnisorientierten Aktionen sowohl die beiden Pole Stadt und Land, wie auch die Parthenaue und ihre Parks in einem unverwechselbaren Erscheinungsbild verbinden will.
Das Konzert in Sehlis wertete Thomas Christoph Heyde, der künstlerische Leiter des FZML, als Erfolg: „Hier sind Besucher vom Kind bis zum Rentner. Besonders freut mich die Tendenz, dass wir zunehmend auch junges Publikum erreichen.“ Katrin Stephan
Fritz Moßhammer und Christoph Lindenbauer harmonieren als Duo Inflagranti auch mit ungewöhnlichen Instrumenten-Kombinationen gut miteinander. Sie lassen auf der Festwiese in Sehlis sogar ein Alphorn erklingen. Fotos: Katrin Stephan
Schlagzeuger Gerd Schenker entlockt nicht nur Tellern und Topfdeckeln Töne, sondern baut auch ein „singendes Weinglas“ mit in das Stück „Food“ ein. (
(Katrin Stephan)
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LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 16.07.2007, S. 10
Ausgabe: Oschatzer Allgemeine / Ressort: Kultur
Zeitgenössische Musik in Leipziger Bad
Wasser als roter Faden
Samstag im Bad ohne Regen. Glücklich, wer da Großes unter freiem Himmel geplant hatte. Das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig hat auf Open-Air im Schreberbad der Messestadt gesetzt. Und mit dem „Badekonzert“ als Auftakt zur Konzertreihe „FreiZeitArbeit“ wollte man Musik und sportliches Vergnügen verbinden. Denn gerade zeitgenössische Musik, für viele ein rotes Tuch, wird hier zum Vermittlungsgegenstand – ungezwungen, innovativ und seriös. Dass dieses Konzept funktionieren kann, zeigt sich am vielköpfig jungen Publikum, das auf den Handtüchern Platz nimmt.
Das Thema „Wasser“ ist der Faden, der sich durch das Programm zieht, ob nun akustisch oder visuell. So beispielsweise bei der Uraufführung „PoolooP“ mit Friederike Plafki, die vor Tropf- und Schwimmbadgeräuschen tanzt und dabei nicht nur hochhackige Schuhe als Schiffchen im Becken schwimmen lässt, sondern gleiches mit Sektglastabletts versucht. Heraus kommt, trotz unklarer Idee und streckenweise spannungsarmer Choreografie, eine schöne Wasser-Lichtkomposition mit besagten Gegenständen.
Fast schon unwirklich erscheint das Bild der acht Synchronschwimmerinnen der DHfK, wenn sie vor den Leipziger Blechbläsersolisten ins Becken stolzieren. Golden schimmert das Metall auf der unruhigen Wasseroberfläche, bevor die ersten Klänge der Ouvertüre und des Allegro der Wassermusik Händels in der Bearbeitung für Blechblasquintett zu hören sind. Exakte geometrische Figuren werden ins Wasser gezeichnet, der wundervolle Blechklang legt sich warm darüber. Tönende Pracht und lichtdurchflutetes Wasser vereinen sich zur Bade-Utopie.
Diese Wassermusik ist rabiat in drei Programmpunkte zergliedert, zwischen die sich zeitgenössische Kompositionen schieben. Händel wird so als anachronistischer Seelenheiler inszeniert, der Kontinuität, Tonalität und festgefasste Struktur in die Post-Postmoderne befördert. Besonders Mike Svoboda übertrifft mit „Hommage á Badesaison“ für Südseemuschel und Wasser alle Erwartungen. Auf einer ansehnlichen Muschel lässt er er eine ganz eigene, mal feine, mal grobe Klangwelt entstehen. Nach der wohldosierten Zugabe von Wasser allerdings verschwimmt die Differenziertheit zum ordinären Geräusch eines Wasserklosetts.
Die Darbietung von Wittwulf Y Malik geht leider etwas unter. Das liegt schlichtweg daran, dass er einen ungünstigen Standort für sein „Singing with Whales“ für Cello und Tonband hat. Ab und zu schreit das Cello, gurgelt das Tonband lautstark, und so recht will es nicht sein ganzes Potenzial entfalten. Das ist bedauerlich, weil das Spektrum an Klängen überwältigend ist. Kratzig bis hauchzarte Cellopassagen bis hin zu emotionalen und brachialen Tonbandeinwürfen – dumpf und weit. Nach dem einstündigen Programm gibt es reichlich Applaus für die Künstler.
(Christian Fanghänel)
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