Funktion: Regisseur | musikalischer Leiter
Erstellungsdatum: 30. - 31.08.2013
Kammeroper von John Cage
»200 Jahre schickten uns die Europäer ihre Opern, jetzt schicke ich sie ihnen alle wieder zurück!« Mit diesem Ausspruch begann der Komponist und Künstler John Cage im Jahr 1987 die Arbeit an seinem fünfteiligen Europera-Opernzyklus.
In EUROPEA 5, dem letzten Bühnenwerk John Cages, werden auf skurrile Art Figuren, Arien und Requisiten der Operngeschichte aus ihrem Kontext gelöst, neu kombiniert und mit popkulturellen Praktiken und technischen Medien des 20. Jahrhunderts konfrontiert. Mit kindlich-spielerischen Mitteln thematisiert Thomas Christoph Heyde die Faszination einer pompösen Opernwelt, in der sich Komik und Tragik, Historie und Moderne gleichwertig gegenüber stehen.
CAGE100 ist das einjährige, internationale Kunst- und Musikfestival, dass das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig anlässlich des 100. Geburtstag John Cages veranstaltet. Nach über 100 Veranstaltungen in über 30 Ländern, feiert CAGE100 im Werk 2 seinen Abschluss im deutschsprachigen Raum.
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EUROPERA 5 ist Teil des Kunst und Musikfestivals CAGE100. Informationen zum Festivals sind hier zu finden. Das Opernprojekt ist zudem an dieser Stelle beschrieben.
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Leipziger Volkszeitung, 02.09.2013, S. 8 / Kultur
Zwischen Stille, bezauberndem Solo und Klang-Chaos: Thomas Christoph Heydes Inszenierung von John Cages „Europera 5“ im Werk 2
Um die Ohren gehauen
Nah am Publikum im Werk 2: Bariton Marco Vassalli befolgt Cages Anweisung: „Singen Sie selbstbewusst, genau intoniert…“.Foto: Wolfgang Zeyen
Umfangreiche Spielanweisungen hat der amerikanische Komponist John Cage auch seiner fünften Europera-Oper von 1991 vorangestellt. Die sind präzise wie gleichsam dem Zufall verpflichtet. So ist die Gesamtdauer streng auf 60 Minuten limitiert, während die Interpreten – zwei Sänger, ein Pianist, ein Grammophon-Spieler, alle beliebigen Geschlechts – die vorzutragenden Opern-Stücke frei wählen dürfen.
Das klingt spannend, und folgerichtig macht sich am Freitagabend fröhliche Aufgeregtheit breit unter dem bunt gemischten Publikum zwischen sechs und 66 Jahren (mindestens), das vor der ausverkauften Halle A des Leipziger Werk 2 auf Einlass zur Aufführung von Cages „Europera 5“ im Rahmen des Projekts „Cage 100“ des Forums Zeitgenössischer Musik Leipzig (FZML) wartet.
Regisseur Thomas Christoph Heyde hat die Liste der Akteure erweitert. Hier gesellen sich zu Altus Michael Hofmeister, Bariton Marco Vassalli, Pianist Jan Gerdes und DJane Marusha Gleiß noch der Tänzer Robert Philipps, der Graffitikünstler Arne Linke, zehn Kinder der Juniorcompany des Leipziger Tanztheaters sowie eine Dame (Christina Schuch) hinzu.
So suchen sich die Zuschauer erst einmal ihren Weg zu den u-förmig aufgestellten Sitzreihen vorbei an posierenden Tanzkindern. Das von Cage geforderte 64-teilige Gitterfeld fehlt, dafür gibt es die vorgeschriebene Tiermaske, überdies ein Kasperletheater oder auch eine Sitzecke mit Sofa und Plüschsessel am Bühnenrand (Bühnenbild: Ralf Hauenschild). In den folgenden 60 Minuten absolvieren die Mitwirkenden nicht nur ihre Parts – Tanz, Gesang auf der Bühne und aus dem Off, Klavierspiel mehr oder weniger hörbar (Cage fordert vom Pianisten auch „shadow“, also Spielen ohne Geräusche), Plattenauflegen, Graffitisprühen. Nein, sie agieren auch szenisch miteinander, Kostümwechsel inklusive. Die Tanzkinder scheinen dabei das bindende Glied zu sein, auch wenn sich die tiefere Bedeutung der Szenerie nicht wirklich erschließt.
Wie dem auch sei: Schön anzusehen ist das Ganze, insbesondere Phillips‘ grazile, formvollendete Bewegungen, die Performance der Tanzkinder sowie die Graffitis, die Linke geruchsintensiv direkt vor den Zuschauern auf den Tanzteppich sprüht. Die sporadisch wechselnden Beleuchtungen sind ein zusätzlicher Kick.
Und in dem Maße, wie der Leidensdruck für Gehör des Publikums anwächst, wenn zufällig einmal alle Mitwirkenden gleichzeitig agieren, steigt auch die Hochachtung vor allem vor den Sängern. „Singen Sie selbstbewusst, genau intoniert und unter Beachtung der vorgeschriebenen Dynamik und des Ausdrucks“, ordnet Cage an. Das muss man erst mal können, wenn beide Sänger gleichzeitig zugange sind, Marusha einem historische Opernschmeckerchen vom Plattenteller um die Ohren haut, Gerdes in die Tasten greift und zudem ein Lokalsender im Kofferradio Hörerwünsche wie „Weil du meine große Liebe bist“ der Kastelruther Spatzen erfüllt. Hofmeister und Vassalli können es richtig gut.
Das Publikum indes ist gut beraten, sich bei dem Neben- und Miteinander der Akteure nicht im Opernraten zu zerfleischen (Barock? Tannhäuser? Carmen? Faust? Hoffmanns Erzählungen? Aida?), sondern sich vorbehaltlos dem Gesamteindruck zwischen Stille, bezauberndem Solo und Klang-Chaos hinzugeben.
Nach exakt 60 Minuten endet das Spektakel abrupt, und das Publikum applaudiert freundlich bis begeistert. Geht hinaus in die Freitagnacht, muss das eben Erlebte erst mal verdauen und hat damit reichlich Gesprächsstoff wie -bedarf. Meister Cage und seine Leipziger Erben dürfte es freuen.
(Birgit Hendrich)
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