Vorschaubild der Konzertreihe »Butterfahrt«

Butterfahrt – Neue Musik auf Reisen

Funktion: künstlerischer Leiter

Erstellungsdatum: 2010 - 2011

Konzertreihe

Butterfahrt, so heißt die neue Konzertreihe für Zeitgenössische junge Musik, die international renommierte Musiker und Komponisten nach Leipzig bringt. Der Titel bezieht sich dabei ironisch auf Reise und Herberge der Musiker und Komponisten jenseits von Luxus und Komfort. Die Reihe, die im November beginnt, wird 2011 mit 3 Konzerten fortgeführt. Im Fokus stehen dann u.a. junge amerikanische und russische Komponisten und Musiker, die Besucher II-IV.

(aus der Vorankündigung des Veranstalters)

• 10. November 2010, Besucher I: Praesenz | aer, Ensemble Nikel
• 11. Mai 2011, Besucher II: Deutsche Stromorchester 

• 22. Juni 2011, Besucher III: Ensemble Work in Progress
• 23. November 2011, Besucher IV: Ensemble LUX

LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 12.11.2010
Ausgabe: Leipziger Volkszeitung-Stadtausgabe/Stadtausgabe / Ressort: Kultur

Musik mit Rasierer und Zahnbürste

Becken werden mit einem Bogen, ein Vibraphon mit den Fingerkuppen gespielt. Luft strömt hörbar durch Klarinetten und Saxophone, ohne einen Ton zu erzeugen. Eine Zahnbürste entlockt dem Flügel seltsame Geräusche, und auch die Kesselpauke wird keineswegs geschlagen, sondern mit einer Schuhbürste bearbeitet. Die Kompositionen, die bei der neuen Konzertreihe des „Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig“ gespielt werden, stellen Hörgewohnheiten auf die Probe.
Die Konzertreihe trägt den Titel „Butterfahrt – Neue Musik auf Reisen.“ Unter diesem Begriff verstand man ursprünglich die Fahrt in internationale Gewässer, um dort zollfrei Waren kaufen zu können. Der Titel verweist ironisch darauf, dass die Musiker für verhältnismäßig geringe Gagen auftreten. Mit der neuen Reihe will das Forum international renommierte Musiker und Komponisten junger zeitgenössischer Musik nach Leipzig bringen.
Am Mittwochabend fand das erste Konzert „Far Away, So Close“ in der Nato statt, eine Gemeinschaftsproduktion von Praesenz aer und dem Ensemble Nikel. Beim Stück „Conversation X“ von Georges Aperghis verbindet Reto Schlauch dadaistische Sprach- und Geräuschfetzen mit dem Spiel auf einem präparierten Flügel. Die stimmlich erzeugten Geräusche klingen so merkwürdig, dass sie im Publikum amüsiertes Lachen hervorrufen. Yaron Deutsch spielt mit „Trash TV Trance“ eine Komposition von Fausto Romitelli für E-Gitarre solo. Mit Hilfe einer Loop-Station erzeugt er verschiedene übereinandergelegte rhythmische Strukturen, teilweise aus Störgeräuschen, und ergänzt sie, indem er seiner Gitarre mit Gegenständen fremdartige Klänge entlockt. So traktiert er sein verzerrtes Instrument mit einem Rasierapparat, mit Metallrohren, einem elektromagnetischen E-Bow oder dem demontierten Tremolo-Hebel der Gitarre. Das Ergebnis ist ein schräges Klanggewitter.
In Toshio Hosokawas „Für Walter – Arc Song II“ für Saxophon, Klavier und Perkussion spielt Vincent Daoud Sopransaxophon, während er mit dem Kehlkopf Töne produziert. Dazu mischen sich Triangel, Paukenschläge und fließende Läufe vom Klavier. In Rebecca Saunders „Vermilion“ kommen Klarinette (Richard Haynes) und Violincello (Jan Filip Tuba) zur E-Gitarre. Hier entstehen flimmernde Dissonanzen zwischen Klarinette und Violincello. Mit einem Pedal blendet Gitarrist Yaron Deutsch mit Effektgeräten und Metallrohren manipulierte Gitarrensounds ein.
2011 wird die Reihe mit drei weiteren Konzerten fortgesetzt, dann sollen junge amerikanische und russische Komponisten und Musiker im Mittelpunkt stehen.

(Hendrik Schäfer)

LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 24.06.2011, S. 11
Ausgabe: Leipziger Volkszeitung-Stadtausgabe/Stadtausgabe / Ressort: Szene Leipzig

Bisher beste „Butterfahrt“

„Butterfahrt“ heißt die Leipziger Konzertreihe, die sich der ja wahrlich gern ignorant behandelten zeitgenössischen Musik verschrieben hat. Am Mittwoch fand sie zum dritten Mal in der Nato statt. Zu hören gab es sechs Stücke von vier Komponisten, geboten von einem Ensemble. Das nennt sich programmatisch „Work in Progress“, kommt aus Berlin und gehört zu den erkundungsneugierigsten und experimentierfreudigsten, mithin in ihrer musikalischen Sparte bekanntesten in Deutschland.
Und ja, dieser Abend ist der bisher gelungenste der Butterfahrten. Dabei gibt es stilistisch/kompositorisch weder wirklich Aufregendes noch „Neues“ zu hören und zu entdecken. Und ob die Gefilde gelegentlicher Selbstparodie da immer mit dem Bewusstsein um diese gestreift werden – etwa beim Dialog zwischen Klarinette und Horn in Michael Edward Edgertons „A Holy Person falls into the nile as a pelican“ – ist zumindest fraglich.
Und doch fesselt dieses Konzert. Erst einmal ganz einfach ob der handwerklichen Versiertheit der Musiker. Dazu gehört auch eine entspannte Souveränität, der man vor allem das anmerkt: die Lust am Ausprobieren, den Spaß am Neuland. Was sich dem Publikum schnell mitteilt. Auch in weniger gelungenen Parts wie „The Oak at Mambre“ (Edgerton) oder dem finalen „Holz“ (Komponist: Caspar de Gelmini), bei dem sich zu obligaten Instrumenten noch zwei Sägen gesellen, die sich am titelgebenden Material zu schaffen machen. Was anfänglich noch für reizvolle Sounds sorgt, zieht sich bald etwas zu sehr, auch zu selbstverliebt, in die Länge.
Weitaus suggestiver tönt Gabriel Pareyons „Mokhäh“. Wie sich hier Horn und Klarinette umgarnen und die Streicher dazu musikalische Struktur regelrecht ertasten, immer wieder von hellen Piano-Phrasen gelockt, ist schlicht fesselnd. Das gilt auch für Mark Bowdens „Radiant Dark“, eine Komposition, die sperrig und einfach zugleich anmutet. Nuancenreich, ein wenig jazzig hier, ein wenig impressionistisch da. Womit dieser Abend insgesamt einer wurde, der durchaus mit Neugier und Zuversicht auf die nächste „Butterfahrt“ warten lässt.

(Steffen Georgi)

LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 13.05.2011, S. 20
Ausgabe: LVZ-Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung / Ressort: Szene Leipzig
Bereits nach einer halben Stunde Krach setzt das Stromorchester die Zuschauer vor die Tür des Nato-Saals

Musikalischer Kurzschluss

„Ist es schon vorbei?“, fragen einige Besucher in der Nato. Die Zuschauer sind unsicher. Doch das knatternde Röhren der Kettensäge markiert den Schlusspunkt der gerade mal halbstündigen Darbietung. Vorher haben fünf Männer in gelben Strahlenschutzanzügen allerhand elektronische Geräte malträtiert, und ein Solist hat versucht, mehr oder weniger taktvoll einer zerlegten Posaune Geräusche zu entlocken.
Das erste deutsche Stromorchester unter künstlerischer Leitung des Komponisten Rochus Aust spielte am Mittwochabend das Auftaktkonzert eines neuen Jahrgangs der Reihe Butterfahrt des Forums Zeitgenössischer Musik. Vor Beginn auf der Bühne Tische mit rotem Blitz auf gelbem Grund – Hochspannung. Was folgt, ist der musikalische Kurzschluss.
Bohrer, Säger, Schleifer, Staubsauger, Kaffeemaschine, Toaster und Föhne in musikalischen Einklang zu bringen, ist sicher ambitioniert, wenn nicht sogar unmöglich. Selbst Joseph Haydn, Altmeister der Wiener Klassik, hätte bei der Interpretation seiner 94. Sinfonie, der Sinfonie mit dem Paukenschlag, genauestens hinhören müssen, um sie zu erkennen. Glucksende Kaffeemaschine, monotoner Föhn und säuselnder Bohrer machen eben doch keine Musik – vielmehr Elektrogeräusche. Nur der abgemischte Beat aus dem Apfel-Computer lässt Grundzüge haydnscher Musikelemente erkennen.
Immerhin beweist Aust mit seinem Ensemble Mut zum Krachmachen, denn die Geräusche der „Instrumente“ aus der Küche und dem Werkraum sind nichts anderes. Nach dem vermeintlich letzten Beat mit der Kettensäge, glücklicherweise mit vorhandener Schutzhülle für die Kette, ist tatsächlich Schluss. Für das Publikum allerdings etwas überraschend bereits nach 30 Minuten Spieldauer.
Großzügige Verbeugungen fordern zaghaften Applaus. Die Zuschauer tuscheln, vielleicht nur Pause? Der Toningenieur baut ab. Ton aus, Licht an. Krach passé. Draußen vor der Tür stehen die gelben Männer schon mit Flüssignahrung in der Hand. „Ist es schon vorbei?“, fragt ein Zuschauer den grinsenden Rochus Aust. „Ja“, entgegnet der Komponist. „Schlimm?“ – „Nein!“

(Dominik Bath)

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Pressemitteilungen und Programminformationen der Konzertreihe »Butterfahrt«
Programmhefte III & IV der Konzertreihe »Butterfahrt«

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