Jubiläumsfestival
Funktion: künstlerischer Leiter
Erstellungsdatum: 14. - 16.10.2010
Kooperationsprojekt des Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig. [FZML] mit Centraltheater & Skala (Schauspiel Leipzig).
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Drei Tage lang begeht das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig [FZML] im Centraltheater seinen 20. Geburtstag. Mit einem ebenso anspruchsvollen wie kurzweiligen Programm, einem »Best Of …«, zeichnen die Initiatoren die Jahre des Aufbaus einer umtriebigen Institution nach, die inzwischen zu den anerkanntesten ihrer Art in Deutschland zählt.
Eröffnet wird das dichte Programm u.a. mit der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot, der wahrscheinlich schrägsten Blaskapelle Deutschlands. Reicht hier das musikalische Spektrum schon vom Arbeiterlied über Punk bis hin zu Hanns Eisler, so wird am zweiten Festivaltag mit einem multimedialen Konzert die Bandbreite noch einmal erheblich erweitert.
Die Werke der Komponisten Steve Reich, Thomas Chr. Heyde, Luciano Berio, Friedrich Schenker u.a. benutzen nicht nur Video, performative Elemente und vor allem reichlich Elektronik, sie zeigen spektakulär und unterhaltsam vor allem eines: Komponieren hat heutzutage nichts mehr mit »Noten schreiben im stillen Kämmerlein« zu tun.
Mit der seltenen Fusion von FM Einheit, dem ehemaligen Schlagzeuger der Einstürzenden Neubauten und Hans Joachim Irmler, dem Keyboarder der Krautrock-Pioniere Faust und nicht zuletzt mit Kid606 (Venezuela) und One Man Nation (Singapur), stehen vier Generationen und gleichzeitig die Speerspitze der experimentellen, pop-affinen elektronischen Musik auf der Bühne, die später zur Tanzfläche wird.
Würdig umrahmt wird das Festival u.a. mit Vorträgen von Diedrich Diederichsen und Gisela Nauck sowie kleineren musikalischen Performances und einer Videolounge. Des Weiteren erscheint ein Jubiläums-Festivalkatalog mit Beiträgen namhafter Künstler, Wissenschaftler und Kuratoren.
(Vorankündigung des Festivalveranstalters)
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LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 09.10.2010
Ausgabe: Leipziger Volkszeitung-Stadtausgabe/Stadtausgabe / Ressort: Kultur
FZML: 20 Jahre neben der Spur
Geburtstags-Festival
Das Forum Zeitgenössische Musik Leipzig wird 20 Jahre alt: Zwei musikalische Jahrzehnte sozusagen neben der Spur, in denen Mentor Thomas Chr. Heyde in alle erdenklichen Randgebiete der musikalischen Moderne geleuchtet hat. Besonders massiv in den letzten Jahren immer im Herbst beim eigenen Macht-Musik-Festival. Das fällt nun im Jubiläumsjahr ein wenig anders aus. Erstens, weil Jubiläumsjahr ist, und zweitens, weil es mit den Mitteln noch komplizierter wurde.
Also macht das Forum aus der Not eine Tugend und feiert sich vom 15. bis 16. Oktober in Centraltheater und Skala mit einer Arte Festival-Best-Of selbst.
Eröffnet wird das dichte Programm mit der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot, der wahrscheinlich schrägsten Blaskapelle Deutschlands. Reicht hier das musikalische Spektrum schon vom Arbeiterlied über Punk bis hin zu Hanns Eisler, so wird am zweiten Festivaltag mit einem multimedialen Konzert die Bandbreite noch einmal erheblich erweitert.
Die Werke beispielsweise der Komponisten Steve Reich, Thomas Chr. Heyde, Luciano Berio, Friedrich Schenker benutzen nicht nur Video, performative Elemente und vor allem reichlich Elektronik, sie zeigen so spektakulär und unterhaltsam vor allem eines: Der Beruf des Komponisten hat sich längst erheblich erweitert, seine handwerkliche Basis ist ungleich breiter geworden, hat die jeweils neusten Entwicklungen der Technik mit einbezogen und alle Genre-Grenzen eingerissen.
Mit der bemerkenswerten Fusion von FM Einheit, dem ehemaligen Schlagzeuger der Einstürzenden Neubauten und Hans Joachim Irmler, dem Keyboarder der Krautrock-Pioniere Faust und nicht zuletzt mit Kid606 aus Venezuela und One Man Nation aus Singapur, stehen vier Generationen und gleichzeitig die Speerspitze der experimentellen, pop-affinen elektronischen Musik auf der Bühne, die später folgerichtig auch zur Tanzfläche wird. Würdig umrahmt wird das Festival mit Vorträgen von Diedrich Diederichsen und Gisela Nauck sowie kleineren musikalischen Performances und einer Videolounge. Des Weiteren erscheint ein Jubiläums-Festivalkatalog mit Beiträgen namhafter Künstler, Wissenschaftler und Kuratoren.
(Peter Korfmacher)
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LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 16.10.2010
Ausgabe: Leipziger Volkszeitung-Stadtausgabe/Stadtausgabe / Ressort: Kultur
Kurkapelle, die alles verwurstet – Centraltheater
Das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig wird 20. Die Bolschewistische Kurkapelle gibt es bereits fünf Jahre länger. Sie haben nach der Wende weder am Namen noch am Programm etwas ändern müssen. Gestartet als große Brassband, haben sie sich inzwischen zwar mit Schlagwerk und elektrischen Saiten verstärkt, doch zeitgenössisch im Sinne des FZML ist ihre Musik deshalb nicht. Eher genössisch: Mit den propagandistischen Gesängen des Ostens hatte alles seinen Anfang genommen. Die Organe haben geschäumt damals, als sie das einschlägige Liedgut der Partei durch unschuldiges Nachspielen genial verballhornten, ohne dass ihnen am Zeug zu flicken war. Das hat bis heute seinen Reiz nicht verloren. Die Herren Brecht und Weill immer im Blick, sparen die hochmotivierten Musiker auch im Centraltheater weder Anmut noch Mühe.
Großformatig wird das entspannte Geschehen auf der Bühne durch Propagandafilme aus den Babelsberger DEFA-Archiven konterkariert. In Schwarz-Weiß ohnehin, doch zusätzlich düster eingefärbt, verbreiten sie eine surreale, fast beängstigende Atmosphäre. Das ist viel mehr als Parodie, das schwappt in einem Schwenk von Kicher-DaDa zu tiefsattem Zynismus und zurück. Der launige Moderator erhebt Leipzig zum Dank für die Friedliche Revolution gleich eben mal zur „Hauptstadt der Bewegung“. Gottlob: Sonst sind seine Witze besser.
Anders als beim artverwandten Projekt „Linkssentimentale Transportarbeiterfreude (Eingreiforchester)“ geht das Repertoire der Bolschewistischen Kurkappelle nicht nur auf die einschlägigen Agit-Prop-Songs zurück. Dieses Orchester ist breiter aufgestellt und entrollt dem staunenden Publikum sein gesamtes stilistisches Verwurstungsspektrum. Sie fesseln mit witzigen Arrangements, etwa, wenn die eine Kapellen-Hälfte „Die Heimat hat sich schön gemacht“ jubiliert, während die andere gleichzeitig mit dem Drohmotiv aus Schostakowitschs „Leningrader“ gegen hält. Wenn ein Arbeiterkampflied aus der Feder von Max Goldt intoniert wird. Wenn sie mit Tocotronic verzweifelt „Was hat uns bloß so ruiniert?“ fragen, um kurz darauf zu enthemmten „Disco Partizani“ zu mutieren. Sie können einfach alles.
Das reicht ihnen aber immer noch nicht, weshalb sie einen bunten Reigen illustrer Gäste auf die Bühne holen. So kommt das Publikum auch in den Genuss einer Slam-Poetry-Deklamation. Das passt natürlich alles gar nicht zusammen und das will es wohl auch nicht. Während jedoch jede einzelne Nummer durchaus ihre Berechtigung nachzuweisen vermag, kommt der Gesamtwitz in der zunehmend endlos scheinenden Aneinanderreihung schleichend abhanden. Als sie schließlich mit „Hyper Hyper“ den finalen Stimmungsböller zünden, der bei ihnen sicher schon tausendmal als Rausschmeißer funktioniert hat, ist das anfangs durchaus begeisterte Publikum längst überfordert und ermüdet. Man dürfe wegen der Zeitplanüberreitung keine Zugabe geben, kalauert der Ansager in den matten Beifall hinein. Wohl wissend, dass dieser gar keine forderte. „Vertrauen ist gut, Kürzungen sind besser“, hätte der erste bolschewistische Kapellmeister wohl geraten.
(Lars Schmidt)
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