Funktion: Komponist
Erstellungsdatum: 1999
für ein zweimanualiges Cembalo in zwei verschiedenen Stimmungen
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Interview mit dem MDR zur Uraufführung von “Schwebungen”
Interview: Pina Scholz
Du hast für den Internationalen Bachwettbewerb 2000 in Leipzig ein Cembalo-Stück geschrieben, eine Auftragskomposition, die in der zweiten Runde des Wettbewerbs gespielt werden sollte. Wie bist Du an diese Komposition herangegangen?
Nun, ich habe mir gedacht: Das Stück soll für den Bachwettbewerb sein und der ist nicht unbekannt. Es sind großartige Leute, die dort spielen. Denen kann man auch eine gewisse Komplexität zumuten. Das Stück sollte also virtuos und rhythmisch komplex angelegt sein. Das resultiert auch schon aus dem Instrument. Das Cembalo wird bösartigerweise auch als die ´Nähmaschine´ unter den Instrumenten bezeichnet. Warum? Beim Cembalo besteht ja das Problem, dass die Töne nicht lange klingen. Daraus ergibt sich auch, dass ein Cembalist entsprechend schnell spielen muss, damit keine ´Leerstellen´ entstehen. Dadurch haben Spielweise und Klang auch etwas Mechanisches. Das steht in meinem Stück auch im Vordergrund. Am Anfang werden harmonische und rhythmische Grundstrukturen vorgestellt. Dann nimmt das Tempo zu, bis sich alles nur noch um zwei bis drei Töne dreht. Dann rückt das rhythmische Geschehen natürlich ins Zentrum. Und so rast das Stück in vier bis fünf Minuten förmlich durch.
Das mechanische Element bleibt also als Grundidee hörbar. Du hast Dein Stück allerdings „Schwebungen“ genannt. Wie kommen die dann zustande?
Die Cembalistin Christine Schornsheim hat mir bei der Vorbereitung auf das Instrument den Hinweis gegeben, dass man die zwei Manuale, auf denen gespielt wird, unterschiedlich stimmen kann. Das habe ich genutzt. Der Interpret muss während meines Stückes häufig und schnell zwischen beiden Manualen hin und her springen. Ansonsten ist es im traditionellen Bereich ja eher schwierig, verstimmt zu arbeiten. So aber besteht eine Schwebung zwischen den beiden Stimmungen – der heute üblichen und der älteren barocken, die um einige Hertz geringer, also tiefer ist.
Du hättest natürlich auch eine bestimmte Fuge bearbeiten können, um den direkten Weg zu Bach zu nehmen. Du gehst aber abstrakter ran, indem Du nicht Bach, sondern den Klang der Barockzeit über die damals übliche Instrumenten-Stimmung zitierst. Welches Verhältnis hast Du dann überhaupt zum großen Meister?
Ich kann meine Tradition nicht unmittelbar bei Bach ansiedeln. Das sage ich ganz klar. Wenn ich Tradition sage, meine ich überhaupt nur die letzten hundert Jahre. Ich interessiere mich schon für die Musik Bachs, aber ich beschäftige mich mehr mit Dingen, die mir viel gegenwärtiger sind. Dazu gehören auch Literatur oder Malerei. Wenn man eine gewisse Offenheit hat, dann ist es gar nicht mehr interessant, wo man ´herkommt´, wer einen musikalisch beeinflusst hat. Interessant ist da eher die Verhältnismäßigkeit. Am Ende setze ich mich ganz traditionell an den Schreibtisch und muss meine eigenen Noten finden. Und da hilft mir kein Beethoven, kein Mahler und auch kein Computer.
Die Verstimmung des Instruments schien sich dann ja regelrecht auf die Auftraggeber bzw. die Teilnehmer zu übertragen. Im Pflichtkanon beim Bach-Wettbewerb stand Dein Stück dann nicht mehr. Es blieb den Cembalisten überlassen, die „Schwebungen“ oder ein anderes zeitgenössisches Stück zu spielen. Ist Dein Werk also nichts für Puristen?
Ich weiß es nicht. Ich persönlich habe nur eMails oder Faxe bekommen, bei denen es um technische Details ging. Natürlich ist das Stück eine Herausforderung. Musik unserer Tage ist nun mal eine Herausforderung, der sollte man sich stellen. Sonst darf man solche Aufträge nicht vergeben! Ich bin es gewohnt, Schwierigkeiten die mit der Umsetzung meiner Werke zu tun haben – mal sanft, mal resolut – aus dem Weg zu räumen…
Du hast in verschiedenen Tonstudios gearbeitet, unterrichtest im Medienkunstbereich der Hochschule für Grafik und Buchkunst und veranstaltest auch Multimedia-Events. Gleichzeitig hast Du zwei Drittel Deiner Kompositionen für klassische Instrumente geschrieben. Auch Deine Komposition für den ehrwürdigen Bachwettbewerb sollte in einem konventionellen Rahmen auf einem konventionellen Instrument umgesetzt werden. Machst Du Dir eigentlich Gedanken über Dein Publikum?
Zunächst, glaube ich, muss man sich vom klassischen Komponistenbild verabschieden. Es gibt da keine klaren Kategorien mehr. Ich arbeite eben auch als Medienkünstler und die Konzerte, die ich organisiere, entstehen zusammen mit Lichtdesignern, Malern, anderen Künstlern. Was ich mir wünsche ist, dass es nicht so akademisch, nicht so kammermusikalisch abläuft und dass dadurch auch ein anderes Publikum angesprochen wird. Ich stelle mir schon immer wieder die Frage, was sind das für Leute, die heute leben. Sie leben mit Computer, Internet, sind relativ umfassend informiert. Und der Mensch hat heute die Möglichkeit, breiter wahrzunehmen.
Du könntest Dir also vorstellen, Deine Schwebungen auch bei einem Multimedia-Ereignis aufzuführen? Wie würdest Du herangehen?
Möglich wäre dies, zumal ich nichts davon halte, Werke, die in anderen Zusammenhängen oder Zeiten entstanden sind, gänzlich von einer zeitgemäßen Sichtweise abzuschotten. Allerdings gibt es hier Grenzen. Denn nur weil „Multimedia“ drauf steht, muss nicht auch Substanz drin sein. Bezogen auf die „Schwebungen“ glaube ich, dass andere Werke von mir sich besser für eine solche, multimediale Umsetzung eignen würden. Dennoch: Möglich ist alles, schließlich hat Kunst ja etwas mit Freiheit zu tun…
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