für Ensemble
Funktion: Komponist
Erstellungsdatum: 1999
für Ensemble
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Das handschriftliche Original ist Teil der Thomas-Christoph-Heyde-Sammlung der Musikbibliothek der Leipziger Städtischen Bibliotheken Leipzig.
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rufen? nein, wollen!
Nein, Beschreibung von genau genommen imaginären Vorgängen – sei es als ein “sich er- oder verklären”, sei es im Sinne einer Übersetzung – ist und bleibt fragwürdig; und die nachgerade inflationär zu konstatierende Beschreibungswut wird auch nicht sinnfälliger in ihrer tausendfach proklamierten in Fragestellung bzw. in ihrer erklärten Verweigerung innerhalb von bestimmten Zusammenhängen: Bleibt doch die beschreibende Verweigerung Vollzug. Ohne dass dem der Sache zu Grunde liegenden infantilen Spieltrieb das kreative Potential abgesprochen werden soll, so plappert sich doch manche Marionette eines Zeitgeistes gelegentlich der Sprachlosigkeit entgegen und blumige Phrasendrescherei umschreibt die eigene Verklemmung. Doch Schweigen? Heute, jetzt?
Nein! Gemeint ist natürlich die Verhältnismäßigkeit, so es diese zwischen dem kommentierenden Wort und dem relativ hermetischen Ton grundsätzlich überhaupt gibt.
Und hier?
…rufen? nein, wollen!…
Es geht möglicherweise, vielleicht aber auch ziemlich sicher um Rufen, um Wollen im existentiellen Wortsinn. Die Sprache, die Gesten der Musik zögern und tasten sich fragmentarisiert vorwärts: Das Wollen gibt der Musik die Impulse ihres Rufens, ihres Auf-, An- und Zurufens. Der Wille zum Ruf, der auch manchmal Schrei ist, bricht sich im Raum. Die Ideenfragmente nutzen die Brechungen an der Reflektionsfläche des geometrischen Raumes und – dies besonders – des imaginären Innenraumes.
Doch für letzteres ist vor allem eines nötig: Zeit.
So geht die Musik lange ihre eigenen Wege, widersetzt sich einer Lenkung, verlässt ihre Pfade und geht Irrwege, bevor sie nach und nach ihren (meinen) Rufen folgt.
Willentlich!
(Thomas Christoph Heyde)
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LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 21.10.1999, S. 7
Ausgabe: Leipziger Volkszeitung-Stadtausgabe/Stadtausgabe / Ressort: Kultur
Kurz rezensiert – Neue Musik in der Peterskirche
Noch immer beanspruchen Künstler privilegierten Zugang zu „imaginären Vorgängen“, deren „Beschreibung fragwürdig ist und bleibt“. Mit entsprechendem Kommentar verweigert jedenfalls Thomas C. Heyde jede beschreibende oder deutende Annäherung für seine im 2. Raumklangprojekt in der Peterskirche uraufgeführte Komposition „rufen? nein, wollen!“. Es ginge „um rufen, um wollen im existenziellen Wortsinn“. Um dessen Kenntnis wird den Komponisten jeder Philosoph beneiden, sollte er nicht hinter der Gegenüberstellung von Rufen und Wollen nur einen Kategorienfehler argwöhnen.
Bodenständigeren Gemütern klang dieses Rufen eher wie das Pfeifen im Wald. So blieb es beim Wollen: Neun isolierte Instrumente mühen sich redlich, ihre Möglichkeiten auszureizen, was interessant sein könnte, wäre es nicht so neu, wie die Neue Musik alt ist. In monotoner Vielfalt zerstäubt jede Entwicklung zu Mittelwerten. Nur einmal zucken ein paar harmonische Klänge auf – und zerplatzen sogleich mit dem Knall einer realen Zündung. Dieser Witz war unmissverständlich. Es wurde herzlich gelacht.
Unter der Leitung von Christian Münch, der in seinem Werk „geträumt“ zeigt, wie man Musik professionell verräumlicht, ging das Ensemble „Forum Zeitgenössische Musik“ loyal zur Sache. Da aber auch „geträumt“ unter himmlischer Länge leidet und die Feinheiten in Luigi Nonos „Polifonica-Monodia-Ritmica“ von den Kirchgewölben wie von einem Dunstabzug weggesaugt wurden, blieb Henzes „Epitaph für Paul Dessau“ Lichtblick des Abends: 18 schmerzvolle Takte für Cello. Wahre Größe bedeutet eben, sich kurz fassen zu können!
(Marcus Erb-Szymanski)
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