Funktion: Komponist
Erstellungsdatum: 2002
für 4 Schlagzeuger und Tonband
Zur Entstehung von „High-Culture-Motherfuckers“
„High-Culture-Motherfuckers“ for four drummers and percussion entstand im Auftrag des Leipziger Schlagzeugensembles für ein Jubiläumsskonzert des Ensembles, das vom Mitteldeutschen Rundfunk [MDR] ausgerichtet wird. Heyde, der selbst für den Mitteldeutschen Rundfunk arbeitet und [OT-Heyde: „vielleicht mit etwas zu jungem Publikum, etwas zu erfolgreich und im Ansatz etwas zu unkonventionell“] eine neue Reihe für Zeitgenössische Musik gestaltet, gab Ende Dezember den Titel seines Werkes dem Veranstalter bekannt. Dieser reagierte prompt und setzte den Komponisten darüber in Kenntniss, dass „der Titel des Werkes „HIGH CULTURE MOTHERFUCKERS“ lauten soll“ und er „nicht bereit [ist], unter diesen Umständen das Werk im Programm zu behalten.“ Weder auf Plakaten, noch in anderen Veröffentlichungen war danach Heydes Name zu finden und dies obwohl er [nachdem er eine Erklärung abgegeben hatte: siehe „Auszug aus der Erklärung von Heyde“ unten] sogar bereit war der Titel in High-Culture-M.F. bzw. High-Culture-Questionmark abzuändern. „Bis heute“, so Heyde, „bin ich – trotz einer Zusage aus zweiter Hand – nicht sicher, ob und unter welchem Titel das Stück gespielt werden ‚darf‘. Vor allem, nachdem ich jetzt selbst massiv die Öffentlichkeitsarbeit für das Stück in die Hand genommen habe. Natürlich unter dem Originaltitel…“.
Auszug aus der Erklärung von Heyde:
»…weise allerdings darauf hin, dass der Auftrag für dieses Stück vom Schlagzeugensemble kam und Künstler (das dürfte Ihnen bekannt sein) bei der Auswahl von Werktitel im allgemeinen Autonomie genießen. Ein Großteil der bedeutenden Werke der bildenden Kunst, die uns in den einschlägigen Museen erfreut, müssten abgehangen werden, wenn man so unreflektiert an Werktitel hergehen würde – von moderner Theaterliteratur gar nicht zu reden. Und in heutiger Zeit einen (zumal noch intellektuell chiffrierten) Werktitel zum Anlass einer Entscheidung darüber zu nehmen, ob ein Werk zur Aufführung kommt oder nicht, das jagt mir doch in gewisser Weise auch einen Schrecken ein. Aber ich denke, Sie haben da einfach eine völlig unrichtige Übersetzung zu Grunde gelegt, denn im Allgemeinen pflege ich bei allem Bruitismus doch eine recht dezidierte und intellektuell wohl überlegte Herangehensweise an Werktitel und Inhalte und da macht das Stück keine Ausnahme.
[…]
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass bitte die Trennung meiner Eigenschaft als freier Mitarbeiter des MDR (Sendermusik) und Thomas Chr. Heyde, Komponist, gewahrt bleibt. Ich kann mir – und das steht in Zusammenhang mit dieser Bitte – allerdings nicht vorstellen, dass Sie bei einem anderen zeitgenössischen Komponisten soweit gegangen wären, zu fordern, dass er seinen Stücktitel ändert. Wo kämen wir dann auch hin. Übrigens gibt es ja sicher auch ein Programmheft und da kann man ja auch für jene, die die Zusammenhänge nicht auf den ersten Blick erkennen, reinschreiben, wie der Titel gemeint ist und originär übersetzt wird in diesem Zusammenhang […]. Übrigens bin ich es auch langsam leid als ‚enfant terrible‘ gehandhabt zu werden, denn dazu nehme ich meine Arbeit doch zu ernst, und ich kann derartigen Diskussionen außer einem gewissen intellektuell-sportiven Aspekt auch nichts abgewinnen.«
Kommentar von Heyde nach Fertigstellung von „high-culture-motherfuckers“:
tote Elite macht Brechreiz
Ich habe mich manchmal gefragt: was erwarten SIE.
Manchmal habe ich mich auch gefragt: Warum interessiert es mich.
Meistens war ich am sichersten, wenn ich merkte, dass es nicht passte oder auch, wenn es zu sehr passte…
…ich bin sicher, dass high-culture-motherfuckers nicht passt. In den Konzertsaal nicht, in den Club nicht.
Immer wenn das „shake hands“ der Anderen zu euphorisch war, habe ich mich nicht mehr gefragt, sondern meine ganze abgewichste Musikscheiße aus meinem Hirn gequetscht und IHNEN vor die Füße gekotzt. Natürlich fanden SIE auch dafür eine Schublade, aber ich arbeite hart daran, dass SIE keine mehr finden….
Ständig arbeite ich daran etwas zu bauen, und wenn ich etwas gebaut habe, arbeite ich genau so daran, alles wieder kaputt zu machen.
IHR kriegt mich nicht. Alles werde ich tun, um EUCH endlich einmal anders zu sehen, als stumm und sinnlos.
Ich widme dieses Stück meinem Freund Péter, weil er der Einzigste ist, an den ich denke, wenn ich so denke.
Fuck you!
Thomas Christoph Heyde
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Titel: Besonders brisant
Publikation: Leipziger Volkszeitung
Besonders brisant
Thomas Christoph Heyde hat ein Stück geschrieben. Das ist an sich nichts Besonderes. Denn damit verdient der Leipziger Komponist seine Brötchen. Weil aber die Kunst nicht ohne das Besondere auskommt, hat er seinem Stück einen ganz besonderen Namen gegeben: “High-Culture-Motherfuckers for 4 drummers and electronic”. Das ist Englisch, heißt im zweiten Teil “für vier Schlagzeuger und Elektronik”, und im ersten “Hoch-Kultur-der-Mutter-Beiwohner”. Oder so. Damit ist die Aufgabe eigentlich erfüllt. Denn “Der Mutter Beiwohnen” ist ganz besonderer Schweinkram. Hochkultur hin, Hochkultur her. Doch mit der Aufgabe ist es so eine Sache. Denn Heyde hat sie sich nicht selbst gestellt. Der Mitteldeutsche Heimatfunk hat ihm den Auftrag erteilt. Das ist eine besondere Ehre. Und der muss der Tonsetzer sich als würdig erweisen. Durch würdevolles Setzen von Tönen beispielsweise, über die er dann einen würdevollen Titel setzen kann. “Hymnus” würde gut ankommen oder “Ode” oder “Gesang” oder “Stille Nacht, heilige Nacht” (leider schon vergeben). “Hoch-Kultur-der-Mutter-Beiwohner” eher nicht. Auch nicht auf Ausländisch.
Derlei Ablenkungsmanöver ziehen selbst beim MDR nicht mehr, der hinreichend polyglott geworden ist, um sich nicht aufs Glatteis führen zu lassen. Vielleicht hätte Heyde es mit der Sprache der Musik versuchen sollen: “Alta-cultura-concubino-di-suo-madre” zum Beispiel. Das ist hanebüchenes Italienisch, klingt besonders schön – aber nicht mehr so immens politisch und anklägerisch wie die Urversion. Und zu spät ist es auch.
Der Mitteldeutsche Auftraggeber hat sein Missfallen an der brisanten Titelei nämlich schon besonders deutlich kundgetan. Der Tenor: So ein Schweinkram kommt uns nicht in die “Sende(r)musik”. Die betreut Heyde zwar eigentlich selbst, aber gesagt ist gesagt. Also hat der Komponist sich etwas ganz besonders Schlaues einfallen lassen. Nun lässt er sein Opus als “HighCultureMotherf” aus der Taufe heben. Damit können die Funker leben – obschon auch so alles klar ist. Schließlich wird dies niemand im Geiste zu “HighCultureMotherfüllfederhalter” ergänzen. Hat der Komponist durch die Hintertür doch all seine Subversion untergebracht! Bleibt nur die Frage, wozu man eigentlich nun die Musik noch braucht.
(Peter Korfmacher)
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